Keine Eurozone ohne bedingungsloses Grundeinkommen in Europa
Am 1. Dezember 2013 hat Philippe Van Parijs an der Universität Kopenhagen eine hörenswerte Vorlesung in Englisch zum Thema "No Eurozone without a Euro Dividend" gehalten, die von dem dänischen Ableger des Basic Income Earth Network auf Youtube veröffentlicht wurde (siehe unten). Schon seit ein paar Jahren setzt er sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen auf europäischer Ebene beharrlich und mit bemerkenswerten Argumenten ein, obgleich die Mainstream-Intellektualität, die sich über die Krise der Europäischen Union und ihre Lösungsmöglichkeiten den Kopf zerbricht, sich diesem Vorschlag gegenüber weiterhin ziemlich ignorant verhält, wovon man sich unter anderem auf der letzten Konferenz des Council for European Studies in Amsterdam 2013 überzeugen konnte. (Diese wissenschaftliche Fachgesellschaft für Europaforschung ist die größte ihrer Art und versammelt auf ihren Konferenzen über 1000 Teilnehmer aus allen Fachrichtungen und Erdteilen.)
Philippe Van Parijs ist ein ungewöhnlicher Intellektueller. Seit vielen Jahren schon setzt er sich unermüdlich und mit großer Geduld für ein bedingungsloses Grundeinkommen mit den weichen Waffen des besseren Arguments ein. Er tut dies auf eine ausgesprochen sanftmütige und integrative Weise, die ihn in Verbindung mit seiner bemerkenswerten Vielsprachigkeit und seiner ausgeprägten kosmopolitischen Reisetätigkeit zu der Integrationsfigur der weltweiten Grundeinkommensbewegung schlechthin haben werden lassen. Seine ausgeprägte Intellektualität verzichtet auf Scharfsinnigkeit inszenierende Sophistizierungen oder auf den immer noch sehr verbreiteten durchblickerhaften Schein-"Realismus", der permanent darum bemüht ist, Nicht-Naivität unter Beweis zu stellen. Philipp Van Parijs ist in einem viel substanzielleren Sinne nicht naiv, nämlich vom Realismus desjenigen durchdrungen, der begriffen hat, dass die zur Durchsetzung von derart weitreichenden Ideen wie der des bedingungslosen Grundeinkommens nötige Überzeugungsarbeit das Bohren superdicker Bretter bedeutet. Dieser Aufgabe hat sich Philippe Van Parijs mit asketischer Hingabe, jedoch zugleich mit feinsinnigem Humor verschrieben, und die vielen kleineren und größeren Erfolge auf der zurückgelegten langen Strecke geben ihm auch recht.
Die Idee einer "Eurodividende" wäre tatsächlich der Würdigung durch diejenigen Wert, die sich über die Zukunft Europas sozusagen hauptberuflich und an herausgehobener, öffentlichkeitswirksamer Stelle Gedanken machen. Sie hat das Potenzial dazu, an Punkten überraschende Auswege zu eröffnen, die bisher als ausweglos erschienen. Ein Beispiel: Auf seinem viel beachteten Vortrag auf der oben erwähnten Konferenz in Amsterdam hat der sozialdemokratische Vordenker Fritz Scharpf mit großer analytischer Nüchternheit das Bild einer ausweglosen Situation in Griechenland gezeichnet. Angesichts der gemeinsamen Währung fehle die Möglichkeit zur Währungsabwertung, die Griechenland die Erholung seiner Wirtschaft erlaubte. Stattdessen bliebe im Wesentlichen nur die Option, eine analoge interne Abwertung der Lohnstrukturen usw. zu betreiben. Zwar forderten verständlicherweise Viele mehr europäische Solidarität, nicht zuletzt in Form einer europaweit finanzierten Arbeitslosenversicherung, die den einfachen griechischen Bürgern zugutekäme und diese in dem schwierigen Erholungsprozess der griechischen Wirtschaft unter die Arme greifen würde. Jedoch gäbe es dabei ein gravierendes Folgeproblem. Ein Arbeitslosengeld träte in Konkurrenz zur Lohnbildung und würde die Lohnabwertung nach unten unterminieren, so der dem aktivierenden Sozialstaat und der dahinterstehenden Denkweise nicht abgeneigte Scharpf. Wer sich schon einmal näher mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt hat, weiß, dass diese Konkurrenz bei einem solchen Grundeinkommen nicht existierte. Denn man erhielte es ja völlig unabhängig davon, ob man erwerbstätig ist oder nicht. Bei Arbeitslosengeld muss man sich dagegen im Zweifelsfall entscheiden, ob man es bezieht oder stattdessen erwerbstätig ist und Erwerbseinkommen erhält. Wenn das Arbeitslosengeld höher als das zu erwartende Erwerbseinkommen ist, entsteht ökonomisch ein Anreiz keine Erwerbsarbeit anzunehmen und stattdessen Arbeitslosengeld zu beziehen. Auf dem Arbeitsmarkt wirkt dies implizit als Hindernis für eine Lohnbildung nach unten. Bei dem bedingungslosen Grundeinkommen ist dagegen jedes Erwerbseinkommen zusätzlich und repräsentiert dementsprechend immer auch einen ökonomischen Anreiz zur Erwerbsarbeit. Wenn man somit eine Lohnbildung nach unten unter den Prämissen eines gemeinsamen Währungsraums für reformpolitisch unausweichlich hält wie Scharpf, böte das Grundeinkommen hier einen Ausweg, der ohne es nicht existierte.
Man muss sich zudem einmal vor Augen führen, wie bedeutsam ein solches Grundeinkommen als handfestes Zeichen europäischer Solidarität in den Händen griechischer Bürger wäre, um bei dem Beispiel dieses besonders gebeutelten Landes zu bleiben. Es würde für Jeden erfahrbar machen, dass die EU nicht nur Banken und die Vermögen von Großanlegern rettet, sondern auch die Bürger im gesellschaftlichen Strukturwandel stärkt. Es wäre darin auch ein wirksames Gegenmittel gegen den grassierenden anti-europäischen Populismus.
Ein weiterer Vorteil einer Eurodividende sollte zu denken geben: Viele fordern aus guten Gründen einen europäischen Sozialstaat. Seine Verwirklichung erscheint jedoch angesichts der heterogenen sozialstaatlichen Regelungen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union als ausgesprochen schwierig. Wie soll man, so stellt sich tatsächlich als Frage, aus dieser komplexen Vielfalt von Regelungen und nationalen Traditionen zu einem konsistenten europäischen Modell vordringen, und dies möglichst bald? Auch hier bietet ein bedingungsloses Grundeinkommen überraschende Vorteile. Es böte nämlich die Möglichkeit, einen großen Teil der gegenwärtig bestehenden Notwendigkeit äußerst komplexer Synthesebildungen elegant zu umgehen. Man könnte ein Grundeinkommen als Sockeleinkommen europaweit einführen, die existierenden Regelungen in den Mitgliedsstaaten fürs Erste fortbestehen lassen, aber durch schrittweise Erhöhung des Grundeinkommens von unten sukzessive substituieren und überflüssig machen. Solange bestehende Regelungen über das Grundeinkommen hinausgehen, könnten sie On Top weitergeführt werden, bis sie durch ein erhöhtes Grundeinkommen irgendwann ganz ersetzt sind. Einen eleganteren, gangbareren Weg zu einem europäischen Sozialmodell gibt es wohl nicht.
Philipp Van Parijs Argumentation fügt dem Gesagten weitere beachtenswerte Gesichtspunkte hinzu, die sich auf die offenbar gewordenen Schwächen der Eurozone richten und auf die zu ihrem Verständnis so wichtig gewordenen „Theorien optimaler Währungsräume“. Auch in dieser Hinsicht eröffnet das Grundeinkommen neue Optionen, die endlich eine breitere Diskussion verdienen. Allerdings dürfte eine derart weitreichende Solidarität, wie sie ein europaweites bedingungsloses Grundeinkommen, aber auch andere Modelle von europäischem Sozialstaat, darstellten (mit ihnen auch eine stabile Eurozone), zuvor die Konstituierung der Europäischen Union als politische Gemeinschaft voraussetzen, d. h. als demokratisch verfassten europäischen Bundesstaat. Ohne einen solchen Rahmen politischer Vergemeinschaftung ist eine derart weitreichende, institutionalisierte Solidarität schwer vorstellbar. Wer also ein europaweites Grundeinkommen verwirklichen möchte, sollte auch daran interessiert sein, einen solchen konstitutionellen Akt in Europa herbeizuführen, den Viele heute mit dem gleichen durchblickerhaften Schein-"Realismus" für unmöglich halten, der oben auch schon im Hinblick auf das bedingungslose Grundeinkommen erwähnt wurde.
Philippe Van Parijs ist ein ungewöhnlicher Intellektueller. Seit vielen Jahren schon setzt er sich unermüdlich und mit großer Geduld für ein bedingungsloses Grundeinkommen mit den weichen Waffen des besseren Arguments ein. Er tut dies auf eine ausgesprochen sanftmütige und integrative Weise, die ihn in Verbindung mit seiner bemerkenswerten Vielsprachigkeit und seiner ausgeprägten kosmopolitischen Reisetätigkeit zu der Integrationsfigur der weltweiten Grundeinkommensbewegung schlechthin haben werden lassen. Seine ausgeprägte Intellektualität verzichtet auf Scharfsinnigkeit inszenierende Sophistizierungen oder auf den immer noch sehr verbreiteten durchblickerhaften Schein-"Realismus", der permanent darum bemüht ist, Nicht-Naivität unter Beweis zu stellen. Philipp Van Parijs ist in einem viel substanzielleren Sinne nicht naiv, nämlich vom Realismus desjenigen durchdrungen, der begriffen hat, dass die zur Durchsetzung von derart weitreichenden Ideen wie der des bedingungslosen Grundeinkommens nötige Überzeugungsarbeit das Bohren superdicker Bretter bedeutet. Dieser Aufgabe hat sich Philippe Van Parijs mit asketischer Hingabe, jedoch zugleich mit feinsinnigem Humor verschrieben, und die vielen kleineren und größeren Erfolge auf der zurückgelegten langen Strecke geben ihm auch recht.
Die Idee einer "Eurodividende" wäre tatsächlich der Würdigung durch diejenigen Wert, die sich über die Zukunft Europas sozusagen hauptberuflich und an herausgehobener, öffentlichkeitswirksamer Stelle Gedanken machen. Sie hat das Potenzial dazu, an Punkten überraschende Auswege zu eröffnen, die bisher als ausweglos erschienen. Ein Beispiel: Auf seinem viel beachteten Vortrag auf der oben erwähnten Konferenz in Amsterdam hat der sozialdemokratische Vordenker Fritz Scharpf mit großer analytischer Nüchternheit das Bild einer ausweglosen Situation in Griechenland gezeichnet. Angesichts der gemeinsamen Währung fehle die Möglichkeit zur Währungsabwertung, die Griechenland die Erholung seiner Wirtschaft erlaubte. Stattdessen bliebe im Wesentlichen nur die Option, eine analoge interne Abwertung der Lohnstrukturen usw. zu betreiben. Zwar forderten verständlicherweise Viele mehr europäische Solidarität, nicht zuletzt in Form einer europaweit finanzierten Arbeitslosenversicherung, die den einfachen griechischen Bürgern zugutekäme und diese in dem schwierigen Erholungsprozess der griechischen Wirtschaft unter die Arme greifen würde. Jedoch gäbe es dabei ein gravierendes Folgeproblem. Ein Arbeitslosengeld träte in Konkurrenz zur Lohnbildung und würde die Lohnabwertung nach unten unterminieren, so der dem aktivierenden Sozialstaat und der dahinterstehenden Denkweise nicht abgeneigte Scharpf. Wer sich schon einmal näher mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt hat, weiß, dass diese Konkurrenz bei einem solchen Grundeinkommen nicht existierte. Denn man erhielte es ja völlig unabhängig davon, ob man erwerbstätig ist oder nicht. Bei Arbeitslosengeld muss man sich dagegen im Zweifelsfall entscheiden, ob man es bezieht oder stattdessen erwerbstätig ist und Erwerbseinkommen erhält. Wenn das Arbeitslosengeld höher als das zu erwartende Erwerbseinkommen ist, entsteht ökonomisch ein Anreiz keine Erwerbsarbeit anzunehmen und stattdessen Arbeitslosengeld zu beziehen. Auf dem Arbeitsmarkt wirkt dies implizit als Hindernis für eine Lohnbildung nach unten. Bei dem bedingungslosen Grundeinkommen ist dagegen jedes Erwerbseinkommen zusätzlich und repräsentiert dementsprechend immer auch einen ökonomischen Anreiz zur Erwerbsarbeit. Wenn man somit eine Lohnbildung nach unten unter den Prämissen eines gemeinsamen Währungsraums für reformpolitisch unausweichlich hält wie Scharpf, böte das Grundeinkommen hier einen Ausweg, der ohne es nicht existierte.
Man muss sich zudem einmal vor Augen führen, wie bedeutsam ein solches Grundeinkommen als handfestes Zeichen europäischer Solidarität in den Händen griechischer Bürger wäre, um bei dem Beispiel dieses besonders gebeutelten Landes zu bleiben. Es würde für Jeden erfahrbar machen, dass die EU nicht nur Banken und die Vermögen von Großanlegern rettet, sondern auch die Bürger im gesellschaftlichen Strukturwandel stärkt. Es wäre darin auch ein wirksames Gegenmittel gegen den grassierenden anti-europäischen Populismus.
Ein weiterer Vorteil einer Eurodividende sollte zu denken geben: Viele fordern aus guten Gründen einen europäischen Sozialstaat. Seine Verwirklichung erscheint jedoch angesichts der heterogenen sozialstaatlichen Regelungen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union als ausgesprochen schwierig. Wie soll man, so stellt sich tatsächlich als Frage, aus dieser komplexen Vielfalt von Regelungen und nationalen Traditionen zu einem konsistenten europäischen Modell vordringen, und dies möglichst bald? Auch hier bietet ein bedingungsloses Grundeinkommen überraschende Vorteile. Es böte nämlich die Möglichkeit, einen großen Teil der gegenwärtig bestehenden Notwendigkeit äußerst komplexer Synthesebildungen elegant zu umgehen. Man könnte ein Grundeinkommen als Sockeleinkommen europaweit einführen, die existierenden Regelungen in den Mitgliedsstaaten fürs Erste fortbestehen lassen, aber durch schrittweise Erhöhung des Grundeinkommens von unten sukzessive substituieren und überflüssig machen. Solange bestehende Regelungen über das Grundeinkommen hinausgehen, könnten sie On Top weitergeführt werden, bis sie durch ein erhöhtes Grundeinkommen irgendwann ganz ersetzt sind. Einen eleganteren, gangbareren Weg zu einem europäischen Sozialmodell gibt es wohl nicht.
Philipp Van Parijs Argumentation fügt dem Gesagten weitere beachtenswerte Gesichtspunkte hinzu, die sich auf die offenbar gewordenen Schwächen der Eurozone richten und auf die zu ihrem Verständnis so wichtig gewordenen „Theorien optimaler Währungsräume“. Auch in dieser Hinsicht eröffnet das Grundeinkommen neue Optionen, die endlich eine breitere Diskussion verdienen. Allerdings dürfte eine derart weitreichende Solidarität, wie sie ein europaweites bedingungsloses Grundeinkommen, aber auch andere Modelle von europäischem Sozialstaat, darstellten (mit ihnen auch eine stabile Eurozone), zuvor die Konstituierung der Europäischen Union als politische Gemeinschaft voraussetzen, d. h. als demokratisch verfassten europäischen Bundesstaat. Ohne einen solchen Rahmen politischer Vergemeinschaftung ist eine derart weitreichende, institutionalisierte Solidarität schwer vorstellbar. Wer also ein europaweites Grundeinkommen verwirklichen möchte, sollte auch daran interessiert sein, einen solchen konstitutionellen Akt in Europa herbeizuführen, den Viele heute mit dem gleichen durchblickerhaften Schein-"Realismus" für unmöglich halten, der oben auch schon im Hinblick auf das bedingungslose Grundeinkommen erwähnt wurde.