Grundeinkommen statt Betreuungsgeld

Die aktuelle Kontroverse innerhalb der Regierungskoalition von CDU, CSU und FDP um das im Koalitionsvertrag verabredete „Betreuungsgeld“ zeigt auf anschauliche Weise die Verfahrenheit der politischen Debatte und die Phantasielosigkeit der regierenden Parteien, aber auch der Oppositionsparteien SPD, Grüne und „Die Linke“. Ein bedingungsloses Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe, wie es derzeit als einzige in deutschen Parlamenten vertretene Partei die Piratenpartei vorschlägt, würde diese Kontroverse überflüssig machen.

In seinen Grundzügen lässt sie sich ungefähr so beschreiben. Die vor allem in der CSU, aber auch in der CDU vorhandenen Anhänger des Betreuungsgeldes stören sich an der dogmatischen Erwerbsarbeitszentrierung des Lagers um Ex-Familienministerin Von der Leyen, das auch von der FDP und den Oppositionsparteien im Bundestag unterstützt wird. Die Betreuungsgeldanhänger verstehen das Betreuungsgeld als ausgleichendes Element. Das Von-der-Leyen-Lager wiederum stört sich daran, dass das Betreuungsgeld in gewisser Weise das Zuhausebleiben zwecks Kindererziehung prämiert, wobei befürchtet wird, dass gerade ärmere Frauen mit Kindern dadurch auf eine traditionelle Rollenaufteilung fixiert werden. Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass ein Betreuungsgeld einen derartigen Effekt tatsächlich haben kann, wenn sich insbesondere eine erwerbsinteressierte ärmere Frau mit Kindern äußert schlecht bezahlten Jobangeboten gegenüber sieht und das Betreuungsgeld im Hintergrund die Schwelle anhebt, ab der sich die Aufnahme von Erwerbsarbeit ökonomisch überhaupt lohnt. Allerdings wäre für diesen Effekt eben dann nicht allein das Betreuungsgeld, sondern genauso die Tatsache sehr niedrig bezahlter Jobs verantwortlich. Außerdem sollte man die praktische Wirkung einer solchen „Armutsfalle“ bzw. „Herdprämie“ nicht überschätzen, denn Fallstudien (die vom hermetischen wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream lange genug ignoriert worden sind) zeigen mit schlagender Evidenz, dass ökonomische Anreize nur ein Faktor neben anderen sind und nicht wenige Menschen ökonomische Nachteile einer Erwerbsaufnahme gleichwohl in Kauf nehmen (siehe exemplarisch Gebauer, Petschauer, Vobruba 2002). Es sollte des Weiteren nicht übersehen werden, dass das Von-der-Leyen-Lager ohne jeden Zweifel ebenfalls mit ökonomischen Anreizen operiert, die parteiisch, um nicht zu sagen bevormundend, in eine spezifische Richtung gehen: in die der Erwerbsarbeit. Im Zusammenspiel von Elterngeld und ausgebauter Kinderbetreuungsinfrastruktur entstehen, wiederum besonders für ärmere Frauen, ökonomische Zwänge in Richtung Erwerbsaufnahme zulasten der Möglichkeit eigenständiger Kindererziehung.

Wie kommt man aus dieser Zwickmühle einer latent bevormundenden ökonomischen Prämierung oder gar ökonomischen Erzwingung bestimmter Lebensmodelle heraus? Die Antwort lautet: Indem man sicherstellt, dass die betroffenen Personen, insbesondere ärmere Frauen mit Kindern, zumindest auf basalem Niveau ökonomisch unabhängig sind, und indem man zur gleichen Zeit keinerlei Prämien auf ein spezifisches Verhalten setzt. Genau das ist der Fall bei einem bedingungslosen Grundeinkommen. Es bewahrt davor, zur Erwerbsarbeit gezwungen zu sein entgegen dem Wunsch auf eigenständige Kindererziehung. Und es setzt zugleich keine Prämie auf eine solche Kindererziehung, denn man erhält es so oder so. Es ist eben keine Prämie, sondern bedingungslos. Es belässt darüber hinaus aber auch der Erwerbsarbeit ihren Reiz in Gestalt des sich vom ersten Euro an lohnenden Hinzuverdienstes. Würden sich die streitenden Lager der Kontroverse um das Betreuungsgeld stärker darum bemühen, der Kontroverse sachlich auf den Grund zu gehen und würden sie dabei nach einer Synthese der jeweils berechtigen Argumente auf beiden Seiten suchen, landeten sie letztlich beim bedingungslosen Grundeinkommen. Aber die nötige Phantasie und Vorstellungskraft, nicht jeder hat sie, zumindest noch nicht.

Erwähnte Literatur:
Gebauer, Ronald; Petschauer, Hanna & Vobruba, Georg (2002): Wer sitzt in der Armutsfalle? Selbstbehauptung zwischen Sozialhilfe und Arbeitsmarkt. Berlin: Edition Sigma