Das bedingungslose Grundeinkommen als bloßes Modell der Armutsvermeidung.
Anmerkung zur öffentlichen Podiumsdiskussion „Mai 1968: 40 Jahre danach – und nun?“ zwischen Daniel Cohn-Bendit und Ulrich Oevermann
Am Montag, den 2. Juni 2008 fand an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main eine öffentliche Diskussion zwischen Daniel Cohn-Bendit (EU-Politiker der Grünen) und Ulrich Oevermann (emeritierter Frankfurter Soziologieprofessor) zum Mai 1968 statt, in der Oevermann in einem zeitdiagnostisch motivierten Vergleich der Situation heute mit der Konstellation 1968 das bedingungslose Grundeinkommen als Lösung für aktuelle Krisen nannte (siehe dazu an späterer Stelle den Wortlaut).
Cohn-Bendit reagierte darauf. Seine Antwort ist bezeichnend für den Hauptstrom des gegenwärtigen politischen Diskurses in den Parteien, denn er reduzierte den Grundeinkommensvorschlag stillschweigend – wie dies sehr häufig geschieht – auf einen Ansatz zur Armutsvermeidung und zur Sicherung eines zum Leben ausreichenden Mindesteinkommens und brachte zum Ausdruck, dass er vor allem darin die Herausforderung sieht. Die Differenz zwischen dem Grundeinkommensvorschlag und anderen Modellen der Sicherung eines Mindesteinkommenssicherung besteht für ihn daher lediglich in einer weniger bedeutsamen, eher technischen Hinsicht: welches dieser Modelle das geeignetste Mittel für diese Zielsetzung darstellt.
Die erwähnte Passage der Diskussion bei Youtube:
Die Passage im Wortlaut:
Zu Oevermanns Krisenskizze ließe sich ergänzen, dass ein angemessener öffentlicher Krisendiskurs wohl nicht nur deswegen fehlt bzw. es schwer hat, ein größeres Gewicht zu bekommen, weil der Diskurs der Verbetriebswirtschaftlichung alles überragt, sondern auch weil viele Menschen (und so auch die heutige Jugend und die jungen Erwachsenen) gleichzeitig unter Bedingungen einer mittlerweile schon sehr weitreichend nach betriebswirtschaftlichen Modellen veränderten Praxis leben müssen, die sie gewissermaßen im Würgegriff hält und ihnen kaum Freiräume (Zeit) zum Nachdenken über utopische Lösungsentwürfe gegenwärtiger Gesellschaftskrisen lässt. Entsprechend bildet sich für einen angemessenen Krisendiskurs, den es ja keimhaft gibt, nur sehr beschwerlich ein förderlicher Resonanzboden aus, auch wenn hier in den letzten Jahren doch beachtliche Fortschritte zu verzeichnen sind.
Am Montag, den 2. Juni 2008 fand an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main eine öffentliche Diskussion zwischen Daniel Cohn-Bendit (EU-Politiker der Grünen) und Ulrich Oevermann (emeritierter Frankfurter Soziologieprofessor) zum Mai 1968 statt, in der Oevermann in einem zeitdiagnostisch motivierten Vergleich der Situation heute mit der Konstellation 1968 das bedingungslose Grundeinkommen als Lösung für aktuelle Krisen nannte (siehe dazu an späterer Stelle den Wortlaut).
Cohn-Bendit reagierte darauf. Seine Antwort ist bezeichnend für den Hauptstrom des gegenwärtigen politischen Diskurses in den Parteien, denn er reduzierte den Grundeinkommensvorschlag stillschweigend – wie dies sehr häufig geschieht – auf einen Ansatz zur Armutsvermeidung und zur Sicherung eines zum Leben ausreichenden Mindesteinkommens und brachte zum Ausdruck, dass er vor allem darin die Herausforderung sieht. Die Differenz zwischen dem Grundeinkommensvorschlag und anderen Modellen der Sicherung eines Mindesteinkommenssicherung besteht für ihn daher lediglich in einer weniger bedeutsamen, eher technischen Hinsicht: welches dieser Modelle das geeignetste Mittel für diese Zielsetzung darstellt.
Wenn das Grundeinkommen jedoch lediglich als Mittel der Armutsvermeidung und nicht vor allem unter dem Gesichtspunkt von Autonomiegewinnen betrachtet wird, dann kann man sich im Prinzip auch darauf beschränken, für eine bloße Erhöhung bestehender Transferzahlungen wie Hartz IV einzutreten. Ja, man kann dann bezeichnenderweise sogar gleichzeitig für die Beibehaltung oder den Ausbau scharfer Kontrollen der Arbeitsbereitschaft von Hartz-IV-Empfängern und harter Sanktionsmaßnahmen eintreten. Wahrscheinlich schwebt Cohn-Bendit so etwas nicht vor, aber es ist doch bezeichnend, dass er die Pointe eines bedingungslosen Grundeinkommens, nämlich die dadurch ermöglichten Autonomiegewinne, entweder gar nicht wahrnimmt oder aber nicht besonders wertschätzt. Es drängt sich die Frage auf, wo die Emanzipationsorientierung einer Ikone der 68er-Bewegung geblieben ist.
Die erwähnte Passage der Diskussion bei Youtube:
Die Passage im Wortlaut:
Oevermann:
„(...) Den 68ern, der Studentenbewegung, kam es auf die Universität überhaupt nicht an. Das war ihr ziemlich egal. … Dutschke hat sich nie für die Universität interessiert, sondern für die Weltpolitik. Die Universität war nur ein Vorwand. Die Universität, die Krise der Universität war damals vergleichsweise gering im Vergleich zu heute. Die gesellschaftliche Krise war überhaupt nicht da, im Vergleich. Heute dagegen haben wir eine Transformation der Universität eines riesigen Ausmaßes. Wir haben die endgültige Zerstörung der Humboldt-Universität, und wir wissen nicht, was die Folgen sind – im Kleinen. Wir haben im Großen, nur ein Stichwort, sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger und kein Wochenende bisher, an dem sie auf die Strasse gehen. Eine große Krise!
Wir haben eine Krise am Arbeitsmarkt, die im Grunde genommen so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen erforderlich machen müsste. Aber selbst die Grünen haben das wie eine heiße Kartoffel fallengelassen und diese Kartoffel auch nicht wieder konsequent aufgenommen. Am letzten Parteitag der Grünen ist das ziemlich daneben gegangen.
Und wir haben eine Linke, die sowohl Mindesteinkommen vertritt wie Grundeinkommen, und beides widerspricht sich radikal. Man kann nicht das eine fordern und das andere, denn das sind zwei vollkommen verschiedene Logiken. Das heißt also, es ist ein rein populistisches Programm. …
Wenn man sich jetzt fragt: Warum gibt es keine vergleichbare, ja eine viel erforderlichere Revolte oder Rebellion dagegen? Warum gibt es keine Massenbewegung dagegen? Dann, denke ich, ist eine erstmal einfache und sehr vordergründige Interpretation oder Deutung die, dass heute für diese Krisendiagnose ein Diskurs nicht vorhanden ist. Es gibt keinen gültigen zeitdiagnostischen Diskurs, der etwa aus den Sozialwissenschaften geliefert würde. Wir haben stattdessen einen außerordentlich reduzierten Diskurs, den ich den Diskurs der Verbetriebswirtschaftlichung nennen würde, der manchmal als Neoliberalismus bezeichnet wird. Das ist ein Diskurs, der außerordentlich mächtig ist, obwohl intellektuell sehr dünn. Warum ist der so mächtig? Ich habe mir diese Frage häufig gestellt und vorläufig nur eine Antwort gefunden darauf, die nicht besonders befriedigend ist. Er ist deswegen so mächtig, weil jedes Argument, das man gegen einen Vertreter dieses Diskurses vorbringt, sofort dazu zwingt, die Grundlagen dieses Diskurses in Frage zu stellen. Und wenn man das tut, dann kriegt man sofort das Gegenargument: In welcher Welt leben Sie eigentlich? Und Sie haben wohl den letzten Schuss noch nicht gehört.“
Cohn-Bendit:
- „(...) Und zum Schluss jetzt die Frage, warum gibts heute keine Revolte, die Analyse ist ja richtig. Also ich könnte jetzt mit Dir streiten über Grundeinkommen oder bedingungsloses Grundeinkommen und Mindesteinkommen. Richtig an Deiner Analyse ist, dass mit dieser sozialen Ungerechtigkeit in dieser Gesellschaft wir einfach unten irgendwie einen Strich ziehen müssen, darunter darf kein Mensch leben und kann in unserer reichen Gesellschaft nicht leben. Jetzt streiten wir uns dann noch, was die beste Lösung ist, aber dieser Gedanke ist völlig richtig. Und Deine Analyse, dass die Grünen nicht weit gegangen sind, nicht weit genug – warum nicht? – halte ich aus!“
(Hier finden Sie die vollständige Aufzeichnung der Diskussion.)
Zu Oevermanns Krisenskizze ließe sich ergänzen, dass ein angemessener öffentlicher Krisendiskurs wohl nicht nur deswegen fehlt bzw. es schwer hat, ein größeres Gewicht zu bekommen, weil der Diskurs der Verbetriebswirtschaftlichung alles überragt, sondern auch weil viele Menschen (und so auch die heutige Jugend und die jungen Erwachsenen) gleichzeitig unter Bedingungen einer mittlerweile schon sehr weitreichend nach betriebswirtschaftlichen Modellen veränderten Praxis leben müssen, die sie gewissermaßen im Würgegriff hält und ihnen kaum Freiräume (Zeit) zum Nachdenken über utopische Lösungsentwürfe gegenwärtiger Gesellschaftskrisen lässt. Entsprechend bildet sich für einen angemessenen Krisendiskurs, den es ja keimhaft gibt, nur sehr beschwerlich ein förderlicher Resonanzboden aus, auch wenn hier in den letzten Jahren doch beachtliche Fortschritte zu verzeichnen sind.
In der 68er-Generation hatten zumindest die privilegierten Studenten an der Universität – aus heutiger Sicht geradezu unvorstellbare – Freiräume zur Verfügung, und angesichts der guten Arbeitsmarktaussichten war auch die berufliche Zukunft weitgehend sicher, selbst wenn man durch wilde Revolutionsrhetorik von sich reden machte. Heute müssen selbst Studenten unter der verbetriebswirtschaftlichten Realität eines verschulten Studienbetriebs leiden. Solange die zur Verfügung stehenden Freiräume so gering sind, solange ist sicherlich damit zu rechnen, dass die Konstitution eines angemessenen öffentlichen Krisendiskurses und einer demonstrierenden Bewegung gegen die Zumutungen gegenwärtiger Scheinreformpolitik nur äußerst beschwerlich vorankommt.
Immer wieder ist von Alt-68ern zu hören, dass sie bei der heutigen Jugendgeneration ein vergleichbares Engagement für utopische Gesellschaftsentwürfe und ein Aufbegehren vermissen, wie sie es aus ihrer Jugend gewohnt sind. Dazu kann man nur sagen: Als privilegierter studentischer 68er hatte man dazu auch sehr günstige (nicht zuletzt ökonomische) Bedingungen, sich derart weitreichend mit solchen Grundsatzfragen des Lebens zu beschäftigen (abgesehen davon, dass die gesellschaftspolitischen Hervorbringungen von damals sich auch als wenig belastbar erwiesen haben). Will man heute nicht nur den – noch vergleichsweise privilegierten – Studenten ähnliche Freiräume zurückgeben, sondern für alle günstige Voraussetzungen zur Teilnahme an politischen Zukunftsdebatten bzw. am öffentlichen Diskurs schaffen, drängt sich ein zum Leben ausreichendes bedingungsloses Grundeinkommen als Ansatz geradezu auf. Aber natürlich wäre es unsinnig auf die Verbreitung dieser Einsicht zu warten. Um die beschwerliche, allmähliche Ausweitung des Grundeinkommensdiskurses unter widrigen Bedingungen führt wahrscheinlich kein Weg vorbei.
[zugleich veröffentlicht auf: www.grundeinkommen.de ]