Transkript der Podiumsdiskussion zwischen Oevermann, Van Parijs, Vobruba und Werner von 2006

"Bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft. Diskussion über Chancen, Risiken und Folgeprobleme."

Öffentliche Podiumsdiskussion zwischen Ulrich Oevermann, Philippe Van Parijs, Georg Vobruba und Götz W. Werner an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main am 14. Juli 2006

Die Podiumsdiskussion fand als öffentliche Abendveranstaltung im Rahmen des sozialwissenschaftlichen Workshops „Krise der ‚Arbeitsgesellschaft’ - Transformation zur ‚Grundeinkommensgesellschaft’? Diskurse, Deutungsmuster und Habitusformen im Wandel“ statt, der vom 14. bis 15. Juli 2006 an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main abgehalten wurde. Veranstalter war das soziologische Forschungsprojekt „Praxis als Erzeugungsquelle von Wissen“ (Leiter: Prof. Dr. Ulrich Oevermann) im Forschungskolleg und Sonderforschungsbereich 435 „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Goethe-Universität. Initiiert und organisiert wurde der Workshop von Manuel Franzmann mit Unterstützung zahlreicher Kollegen und Förderer (siehe dazu im Einzelnen die Hinweise auf www.bedingungsloses-grundeinkommen.de).

Verschriftung: Bianca Pörtner-Noll, Manuel Franzmann

Das Transkript wurde an einigen Stellen sprachlich geglättet, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Es handelt sich vor allem um Stellen, bei denen der Redefluss und die Satzbildung ins Stocken gerieten und durch inhaltlich redundante Wiederholungen gekennzeichnet sind. Der exakte Wortlaut ist im Zweifelsfall den Video- und Audiomitschnitten zu entnehmen, wie sie über www.bedingungsloses-grundeinkommen.de bzw. den Hochschulserver der Universität Frankfurt, das Internetarchiv www.archive.org und bei youtube unter dem Veranstaltungstitel zu finden sind.

Notationskonventionen

Teilnehmer:
M = Moderation (Dr. Axel Jansen)
O = Prof. Dr. Ulrich Oevermann
W = Prof. Götz W. Werner
P = Prof. Dr. Philippe Van Parijs
V = Prof. Dr. Georg Vobruba
Z = Zuschauer

(uv) = unverständlich
?kursiv? = unsichere Verschriftung
# = Abbruch
(Applaus, Lachen etc.) = außersprachliche Handlungen bzw. Kommentar der Verschrifter


Transkript:

Moderator:
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie begrüßen zu dieser Podiumsdiskussion heute Abend und kurz einführen mit einem Hinweis, den Herr Professor Gerhard Schildt in einem kürzlich publizierten Aufsatz[1] unterstrichen hat. Herr Schildt ist ja auch unter den Anwesenden. Herr Schildt weist darauf hin, dass wir zur Deutung unserer aktuellen Situation folgende Fakten zur Kenntnis nehmen müssen. Erstens: Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist das Arbeitsvolumen so stark gestiegen („gesunken“ müsste es der Sache nach heißen), dass in Deutschland die Arbeitszeit pro Einwohner im Schnitt heute nur noch etwa 40 % der Arbeitszeit von 1882 beträgt.
Das Arbeitsvolumen ist stetig und kontinuierlich gesunken, was auf eine allgemeine Entwicklung deutet. Zweitens: Gleichzeitig ist die Wertschöpfung, also das wirtschaftliche Leistungsvermögen oder die Produktivität, so stark gestiegen, dass die Versorgung mit Gütern heute ein Ausmaß angenommen hat, wie es nie zuvor der Fall war. Über beides ließe sich noch viel sagen und an vielen Einzeldaten erläutern. Für uns ergibt sich daraus eine paradoxe Situation, ein Unglück im Glück, könnte man sagen. Wir sind reicher als jemals zuvor, aber wir nehmen es gleichzeitig als ein Problem wahr, dass es immer weniger zu tun gibt. Die Sicherungssysteme sind in die Krise geraten, weil sie auf der Normalität der Erwerbsarbeit aufruhen oder eine als solche wahrgenommene Normalität. Die Ungleichheit nimmt zu, weil immer mehr Menschen aufgrund ihres Vermögens ohne Arbeit am wachsenden Reichtum partizipieren können, während sich gleichzeitig immer mehr Menschen mit immer mehr Jobs über Wasser halten müssen, ohne ein Vermögen aufbauen zu können. Es gibt viele Leute, die in dieser Situation nicht mehr an eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung glauben, und einige der Anwesenden, auch auf dem Podium, gehören ganz sicher zu diesen Leuten. Um nur einen Grund dafür zu nennen, dass man den Glauben daran verlieren kann. Die technologischen Rationationalisierungspotentiale sind so groß, dass auch in Zukunft mit einem forcierten Abbau von Arbeitsplätzen zu rechnen ist und das Arbeitsvolumen weiter schrumpfen wird. Ist nun ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Antwort auf diese Krise? Mit bedingungslos ist gemeint, ein regelmäßig vom Staat ausgezahltes Einkommen, das jeder Bürger zeit seines Lebens erhält, von der Wiege bis zur Bahre, ohne jede Verpflichtung, Kontrolle und Bedingung. Er könnte sich unter diesen Umständen frei entscheiden, ob er über sein Grundeinkommen hinaus ein Erwerbseinkommen erzielen will. Er könnte sich dann aber auch auf ein Grundeinkommen bescheiden und sich anderen Interessen zuwenden. Die Frage, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Lösung darstellt, soll im Rahmen der heutigen Podiumsdiskussion verhandelt werden. Die Veranstaltung, zu der ich Sie sehr herzlich begrüße, findet statt im Rahmen eines Workshops zur Krise der Arbeitsgesellschaft – Sie werden möglicherweise die Poster draußen auch gesehen haben – , der heute an der Universität Frankfurt begonnen hat und morgen noch fortgesetzt werden wird. Die Diskussion wurde organisiert von Manuel Franzmann und von weiteren Kollegen hier an der Universität.
(An dieser Stelle folgte die kurze Vorstellung der Diskussionsteilnehmer, die hier ausgelassen wird. Entsprechende Hinweise finden sich unter www.bedingungsloses-grundeinkommen.de)

Oevermann:
Ganz schnell meine Grundposition: Also ich beschäftige mich mit der Thematik hauptberuflich eher am Rande. Ich habe 1983 zum ersten Mal etwas darüber geschrieben.[2] (mehrere Minuten Unterbrechung wg. Tonschwierigkeiten) Ich habe mich also schon 1983 in einem ersten Aufsatz damit beschäftigt, noch sehr tastend. Aber ich bin von zwei Ausgangsprämissen ausgegangen, die, denk ich, auch bis heute halbwegs haltbar sind, nämlich erstens, und dafür haben wir heute von Herrn Schildt, dem Historiker aus Braunschweig, eine wunderbare Bestätigung in seinen Darlegungen erfahren[3], dass mit einer stetigen Schrumpfung des absoluten Arbeitsvolumens historisch zu rechnen ist, sodass immer mehr, manche sagen auch Produktivitätsfortschritt, immer mehr Wertschöpfung geleistet wird durch technologische Verfahren, seien es Maschinen, sei es Software, in die gewissermaßen einstige lebendige Arbeitskraft eingegangen ist und als geronnene weiter operiert, sodass also von daher gesehen die strukturelle Arbeitslosigkeit von heute nicht ein Zeichen gesellschaftlicher Armut ist, sondern ein Zeichen gesellschaftlichen Reichtums. Die Frage ist nur, wie dieser Reichtum verteilt wird. Und vermittelt über das Kriterium Arbeitsleistung ist das eben nur noch bedingt möglich bzw. eben nur noch für einen Teil der Gesellschaft – der Größere nach wie vor – der vom Arbeitsmarkt absorbiert werden kann. Das zweite große Problem ist die Frage wie dieser geschöpfte Wert gewissermaßen für den ökonomischen Kreislauf qua Geldpreis verflüssigt wird, wenn sozusagen der Arbeitsmarkt für diese Regulation partiell nicht mehr gültig ist. Das muss man den Ökonomen überlassen, aber interessanterweise haben in zunehmenden Maße die Wirtschaftswissenschaften, die sich, soweit ich das überblicken kann, bis auf wenige Ausnahmen lange gesträubt haben, sich mit dieser Problematik zu befassen oder überhaupt diesen Gedanken ernst zu nehmen, inzwischen den aufgegriffen, also als Beispiel etwa der neoliberale Straubhaar, Leiter des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, und dazu, vielleicht sollte man noch sagen, nicht nur ein Neoliberaler sondern auch ein neoliberaler Schweizer, (Lachen im Publikum) und das besagt ja dann schon ziemlich viel. Also wenn es sich so verhält, dann bedeutet das, dass eine Kompensation geschaffen werden muss. Ein Transfer ist sowieso notwendig, aber die Grundfrage ist dann für mich, wie können diese sozialen Transfers so eingerichtet werden, dass sie nicht automatisch, wie das bis heute der Fall ist, mit Stigmatisierungsfolgen für den Betroffenen verbunden sind. Und das genau würde durch das bedingungslose Grundeinkommen grundsätzlich vermieden werden. Dabei ist eben dann auch wichtig, bedingungsloses Grundeinkommen heißt dann, dass es jeder bekommt, von der Wiege bis zur Bahre, eben nicht nur die Bedürftigen, also dass es eben freigemacht ist von Bedarfsprüfung. Nur dann ist die Stigmatisierungsfolge auch vermeidbar. Also man kann sich das etwa daran klarmachen, dass ja häufig mit dem Recht auf Arbeit argumentiert wird, und dabei wird dann nicht genügend auseinander gehalten, wenn so argumentiert wird, dass Recht auf Arbeit einmal interpretiert werden kann als Recht auf Einkommen, und das ist meines Erachtens gegeben durch die Wertschöpfung. Es kann aber auch heißen, Recht auf Selbstverwirklichung, und dann meint es etwas ganz anderes. Im 19. Jahrhundert, etwa in den französischen Verfassungen von 1793 oder von 1848 ist ja vom Recht auf Arbeit schon die Rede. Da ist aber unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts, kommt das gewissermaßen noch ungeschieden zur Deckung, Recht auf Einkommen und Recht auf Selbstverwirklichung, weil unter den damaligen Bedingungen die gesellschaftlich notwendige Arbeit sozusagen volumenmäßig noch so groß war, dass jemand, der sich der Arbeitsverpflichtung, sagen wir mal, der gesamtgesellschaftlichen, entzogen hätte, das hätte schwer legitimieren können. Das hat sich eben grundsätzlich geändert. Ich persönlich als Sozialpsychologe beschäftige mich dann im Prinzip also nicht so sehr mit der ökonomischen Seite, sondern mit der Seite der sozialpsychologischen Folgen davon, nämlich mit der Frage, was bedeutet es für die konkrete Lebenssituation, wenn jemand ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält und nicht arbeitet, wenn also, so behaupten viele Leute, gewissermaßen das Selbstverwirklichungspotential von Berufsarbeit ausfällt. Und da bin ich der Meinung, dass man diesen Selbstverwirklichungsgedanken im Sinne des Bewährungsgedankens nur generalisieren muss und abkoppeln kann von der Bewährungsquelle Berufsarbeit qua überkommener Leistungsethik, des ersten säkularen Bewährungsmythos. Und die Leistungsethik hat natürlich auch ihren religiösen Ursprung letztlich in der Lutherschen Berufsethik und Vorläufern. Ich bin der Meinung, dass der Grundeinkommen Empfangende, der nicht arbeitet, gleichwohl dieses Ethos der Selbstverwirklichung verinnerlicht hat qua Bewältigung der Bewährungsproblematik und sich dem auch gewissermaßen unterzieht. Und dabei können jederzeit natürlich Leistungen entstehen, die ihrerseits wiederum eine Chance auf Verwertbarkeit am Markt haben, sodass partiell ein Einkommen im Prinzip bezogen werden kann, aber das Wichtige ist eben, nicht bezogen werden muss. Letzter Satz. Von daher entfallen alle Argumente, die auch kürzlich in einer Fernsehdiskussion von Prominenten, an der Herr Götz Werner beteiligt war, also etwa Lafontaine, immer noch gefallen sind, oder auch Lothar Späth, zwei Antipoden, die aber hinter der Bühne sozusagen doch vieles gemeinsam haben (Lachen im Publikum), dass nämlich, also nicht nur die ständigen Auftritte im Fernsehen meine ich damit, immer wieder das Argument vorbringen, ja, aber dann arbeitet keiner mehr, weil es keinen Anreiz mehr gibt. Das halt ich für ziemlich unsinnig, weil jeder Bezieher des bedingungslosen Grundeinkommens natürlich weiterhin einen Anreiz hat, sein Einkommen durch bezahlte Arbeit zu verbessern. Schließlich doch noch ein allerletzter Satz. Das Entscheidende ist, wenn alle, auch eben zum Beispiel Herr Ackermann von der Deutschen Bank, ich weiß nicht, der ist glaub ich Schweizer Staatsbürger, der würde das nicht beziehen können hier, müsste auf die Schweiz warten, aber alle, auch von dieser Einkommensgröße, dieses bedingungslose Einkommen im Prinzip beziehen. Und das ist deswegen wichtig, weil es in sich eine plastische Verkörperung der gemeinsamen Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft ist, aus deren Wertschöpfung diese Lebensgrundlage, die vollkommen legitim ist, über die Legitimation müsste man nachher noch ein bisschen reden, gestiftet ist. (Applaus)

Werner:
Ja, jetzt ist es natürlich so, dass ich das alles befürworte, was mein Vorredner gesagt hat und versuchen muss, jetzt einen anderen Akzent zu setzen. Schauen Sie mal, Sie erinnern sich sicher noch alle gut an den Sündenfall, wo wir (Lachen im Publikum), ja da gibt’s gar nix zu lachen. Das war eine hochdramatische Situation. Und wir sind damals alle verdonnert worden dazu, im Schweiße unseres Angesichtes … Sie kennen das ja alles auswendig. Das war unsere soziale Realität tausende von Jahren. Und was uns mit dem Heraufkommen der Naturwissenschaften und der darauf folgenden Industrialisierung und der Entdeckung der Arbeitsteilung gelungen ist, das ist ja die zu den vier Schöpfungen, die uns der liebe Gott geschenkt hat, nämlich die der mineralischen Natur, der pflanzlichen Natur, der Tiere und den Menschen als Krone der Schöpfung noch eine fünfte Schöpfung hinzuzufügen, nämlich die der Maschinen und Methoden. Da hatte eben schon mein Vorredner drüber gesprochen. Die Maschinen und Methoden, die uns, ja das sind unsere modernen Helfer, die uns dieses Verdikt, das wir damals auferlegt bekommen haben, nämlich im Schweiße unseres Angesichts, da enorm dabei helfen. Die helfen uns in einer Weise dabei, dass es ja eine unheimliche Freude macht, diesen modernen Sklaven sozusagen bei der Arbeit zuzugucken. Und das hat etwas bewirkt, dass zum aller ersten Mal, und das ist wirklich menschheitsbewusstseinsgeschichtlich ein völlig neues Moment für uns, dass zum allerersten Mal Mangel nicht mehr anwesend ist. Also meine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw. und das war bei Ihnen nicht anders, die hätten sich das nie vorstellen können, dass wir mal über so einen Überfluss verfügen wie heute. Und noch vor wenigen Jahrzehnten, Anfang der 1970er Jahre, hat die deutsche Telekom, heutige Telekom, geworben mit dem Slogan „Fasse dich kurz!“. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden ein Handy kaufen, da steht groß drauf, fasse dich kurz. Also die Anwesenheit von Mangel, das ist noch ganz ganz kurz her, dass der wirklich täglich, und meine Generation ist mit dem Spruch aufgewachsen: Denk daran, schaff Vorrat an! Das muss man sich mal wirklich auf der Zunge zergehen lassen, was es bedeutet für uns, nämlich, schauen Sie mal, wenn wir auf diese Veränderungen auch uns persönlich einstellen wollen, dann müssen wir das in unseren Köpfen umdenken. Also es ist nicht so, dass das irgendjemand anderes machen muss, sondern dann sind wir einzelne Bürger, jeder einzelne von uns hier, angesprochen in sich selbst, in seinem Kopf, in seinem Herzen, in seiner Seele die lieb gewordenen die lieb gewordene Begriffswelt, die er sich ja so aufgebaut hat, die umzudenken. Und Joseph Beuys hat das schön gesagt: Wer nicht denken will, fliegt raus! Also wenn wir nicht denken wollen und uns abgewöhnen, denken zu lassen, ja, dann werden wir die Probleme, die in diesen dramatischen Veränderungen sind, die werden wir nicht bewältigen können. Also alles was, zumindest was wir uns hier, unsere Initiative[4] in Anspruch nimmt, das ist dafür zu sorgen, dass diese Idee von möglichst vielen Menschen gedacht wird, also dass diese Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, dass die epidemisch wird, dass es die Köpfe unserer Bürger, dass daraus ne Bürgerbewegung wird, weil wir lernen, das umzudenken. Es hat sich unglaublich viel verändert. Schauen Sie mal, noch vor hundert Jahren haben 40 % der Deutschen in der Landwirtschaft gelebt. Und wenn Sie die Jahre zurückgehen, dann war dieser Anteil noch viel viel höher. Also was unser, seit dem Sündenfall, was unser Wirtschaftsprinzip war, über Jahrtausende, war die Selbstversorgung. Wir sind heute in der totalen Fremdversorgung. Niemand von Ihnen arbeitet für sich selbst; faktisch. Aber wie viele von Ihnen sind der Meinung, dass Sie von Ihrem Einkommen leben? Viele von Ihnen sind der Meinung, dass Sie auf Ihre Altersversorgung sparen müssen, damit Sie später von Ihrer Rente leben können. Das müssen Sie sich mal vorstellen, wie das gehen soll. Also wir leben immer von der Leistung anderer, wir leisten für andere und wir müssen damit rechnen, dass andere mit unserer Leistung rechnen. Das ist eine ganz neue Situation, die uns sehr viele Schwierigkeiten im Sozialen übrigens bereitet, aber die dazu führt, dass wir uns klar machen müssen, dass wir Verhältnisse brauchen in der Sozialität, die nicht Initiative bremsend sind sondern Initiative weckend. Je mehr einzelne Menschen in unserer Gesellschaft Initiative ergreifen, desto besser geht es uns. Und unsere Verhältnisse, die wir haben, heute, die stehen dem eigentlich entgegen, nämlich, wir arbeiten mit sozialen Verhältnissen, mit sozialen Strukturen, mit Rahmenbedingungen, die aus der Selbstversorgungswirtschaft kommen, die aus der Binnenwirtschaft kommen, obwohl wir heute Fremdversorgung haben. Zum Beispiel dieses Paradigma bezahlte Arbeit und dass wir auch Arbeit definieren als weisungsgebundene, bezahlte Erwerbsarbeit und auch unser Steuersystem, unser einkommensbasiertes Steuersystem ist das Steuersystem der Selbstversorgerwirtschaft, ist das Steuersystem der Binnenwirtschaft, obwohl wir inzwischen in der absoluten Fremdversorgungswirtschaft sind und in der globalisierten internationalen Arbeitsteilung. Daher kommen unsere ganzen Probleme. Und was wir nicht übersehen dürfen, ist, dass uns zwar die Arbeit auf der einen Seite ausgeht, wie mein Vorredner eben schon dargestellt hat, aber das ist die Arbeit an der Naturgrundlage und an der Materie. Wo wir einen Riesenmangel haben, und zwar einen täglich wachsenden Mangel, ist in dem Bereich, ich nenne es mal der Kulturarbeit, also der Bildungsarbeit, Erziehungsarbeit, Sozialarbeit, Elternarbeit, die Arbeit, die sozusagen zum Menschen zugewandt ist. Wenn wir heute Arbeit sagen, dann meinen wir immer Produktion oder produktionsnahe Dienstleistung. Aber dieser ganze Bereich der Kulturarbeit, da haben wir einen enormen Mangel. Und diese Arbeit, die müssen wir ermöglichen, weil in dieser Arbeit geht es nicht um Produktivität, sondern da geht es um menschliche Zuwendung. Da geht es nicht um Sparsamkeit, da geht es um Freizügigkeit. Da geht es nicht um Einkommensmaximierung, da geht es um Sinnmaximierung. Da geht es nicht um leitungsgebundene Arbeit, sondern da geht es um einzelmenschliche Initiative. Und dieses neue Arbeitsfeld, das gilt es ins Auge zu fassen. Und wenn Sie das einmal, wenn man das einmal anfängt zu denken, dann wird einem klar, dass man diese Art von Arbeit, die ist prinzipiell unbezahlbar. Die kann man nicht bezahlen, die kann man nur ermöglichen. Und das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Methode, um Arbeit zu ermöglichen. Also das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht dazu da, dass wir nicht mehr arbeiten brauchen, sondern dass wir endlich die Arbeit ergreifen können, in der wir einen Sinn finden, dass wir dann arbeiten, weil wir wollen und nicht weil wir müssen, und dass wir dann wirklich einen Arbeitsplatz haben und nicht nur einen Einkommensplatz. (Applaus)

Moderator:
Herr Vobruba, darf ich Sie einladen?

Vobruba:
Gerne. Meine Damen und Herren, beim Betreten des Saales hat sich bei mir eine gewisse Betroffenheit eingestellt bezüglich der vielen Erwartungen, die einem, wenn man in der privilegierten Position ist, hier zu reden, denn so entgegen gebracht werden. Und lassen Sie mich ein bisschen darüber spekulieren. Das Mindeste, was ich mir denke, ist, dass die Erwartungen hier im Saal sehr unterschiedlich sind und nicht so sehr, was jetzt, was wir da heroben tun, sondern was ein Grundeinkommen bewirken könnte. Und das ist gut so. Denn das Schlimmste, was uns hier passieren kann, ist, zu schnell einen Konsens herzustellen. Das sollten wir möglichst vermeiden. Da werden Sie uns ja dann dabei helfen. Auf der anderen Seite sind natürlich viele unterschiedliche Erwartungen auch ein Nachteil, wenn es um die politische Durchsetzung geht, weil es könnte sein, dass dieses neue und sehr rasch gewachsene Interesse an einem Grundeinkommen auf einer Art Scheinkonsens beruht. Alle verlangen es, aber es wird höchst unterschiedliches darunter verstanden. Und der von Herrn Oevermann bereits angesprochene Herr Straubhaar, mit dem ich vor einiger Zeit zu diskutieren die Ehre hatte, versteht etwas aber so anderes unter dem Grundeinkommen, dass man eher geneigt wäre, den Begriff unter Markenschutz stellen zu lassen. Aber das ist wohl zu spät. Ich nehme an, und lassen Sie mich weiter spekulieren, dass unser aller Interesse an einem Grundeinkommen in etwa aus den folgenden Quellen herrührt. Erstens: Der Stillstand der Politik nervt. (Applaus) Das ist doch billig. (Lachen) Man hat es mit einer kleinen Koalition zu tun gehabt und der Vermutung, so eine Konstellation könnte profilierter agieren. Man hat es nun mit einer großen Koalition zu tun und der Vermutung, dass wäre vielleicht eine breitere Basis. Es scheint in etwa das Gleiche zu sein. Der Stillstand. Das Zweite ist das offensichtliche Ende der traditionellen Vollbeschäftigung. Ein junger Journalist vom NDR hat, ich glaube es war im Report oder, ach irgendeine der Magazinsendungen, ein hübsches Experiment gemacht. Er hat in den Fluren des deutschen Bundestages wahllos Politiker angesprochen, ob sie denn die Vollbeschäftigungsforderung für wichtig fänden. Es war nicht ein Politiker drunter, meine Damen und Herren, der nicht sofort gesagt hätte, ja ja, Vollbeschäftigung wichtig, Vollbeschäftigung kehrt wieder. Vollbeschäftigung im Sinne der späten 1960er Jahre bis zur ersten Ölkrise kehrt nicht wieder! Gleichwohl, als Rahmenbedingung sollten wir festhalten, uns geht auch nicht die Arbeit aus. Es tut sich unter der Oberfläche hoher, konstanter, in manchen Ländern sogar steigender Beschäftigungszahlen zweierlei. Erstens, es gibt nebenbei hohe Arbeitslosigkeit und zweitens, es findet ein dramatischer Strukturwandel der Arbeit statt, weg vom Normalarbeitsverhältnis, das auch wieder nicht vollkommen sich in Luft auflöst, aber zu einer Minderheitenveranstaltung wird, hin zu atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Und dies hat sofort eine dramatische Konsequenz: das System sozialer Sicherung, das nach wie vor auf das Normalarbeitsverhältnis eingestellt ist, funktioniert so nicht mehr. Es entstehen Lücken. Weiteres: Die Prägekraft der Arbeit, also dass uns Arbeit wichtig ist, bleibt. Ganz im Gegenteil, in einem gewissen, etwas verqueren Sinn, wird Arbeit eigentlich alsdann so richtig geschätzt, wenn so wenig davon da ist. Das ist einerseits ne schlechte Nachricht, insofern als jene, die keine Arbeit finden oder immer wieder in Arbeitslosigkeit müssen, überwiegend darunter leiden. Andererseits dürfte das häufig gegenüber der Idee eines Grundeinkommens vorgetragene Bedenken, dann würde ja keiner mehr arbeiten, höchstwahrscheinlich Unsinn sein. Die Neigung zu arbeiten sitzt tief, die Neigung zu arbeiten in abhängiger Erwerbstätigkeit, aber auch in vielen, allen anderen Arbeitsformen, Herr Werner hat einiges davon skizziert, dürfte durch ein Grundeinkommen nicht gestört, sondern eher gefördert werden. Ein Grundeinkommen wäre in meinen Augen ein Stück materiell unterfütterter Autonomiegewinn. Man könnte eine Spur mehr tun und auch lassen, und materiell unterfüttert nein sagen. Ein Grundeinkommen wäre, egal was wir uns jetzt an Höhe konkret vorstellen, realistischer Weise allerdings ohnehin nicht so, dass man sich gemütlich drauf ausruhen kann. Ich weiß nicht, ich versuche in solchen Diskussionen die Preisfrage so lang wie möglich immer hinauszuzögern, weil das bringt immer so ein ungutes Lizitieren. Der Fortschrittlichste ist der, der am meisten vorschlägt. Wie auch immer. Ich denke, dass es finanzierbar wäre, ich denke, dass es einen Sinn hätte, in der gegenwärtigen akuten sozialpolitischen Landschaft und auch in der großen Perspektive eines Wandels der Arbeitsgesellschaft. Und ich frage mich genau deshalb, wenn die vielen Argumente, die für ein Grundeinkommen vorgetragen werden, so plausibel sind, wieso findet es dann in der etablierten Politik so erstaunlich wenig Resonanz? Machen wir uns nichts vor, wir sind hier eine extreme Minderheitenveranstaltung, mit Fernsehtalkshows, ohne Fernsehtalkshows, mit einer gewissen Sympathiebekundung gewisser Miniteile der PDS, ob das ein wirklicher politischer Vorzug ist, weiß ich nicht, halte ich für eine, ich würde auch nicht sagen nein, halte ich für eine offene Frage, aber viel mehr ist es zur Zeit nicht. Die Grünen haben das Thema in den 1980er Jahren kurz mal aufgegriffen, und dann zusammen mit ihrer gesamten sozialpolitischen Kompetenz fallen lassen. Ich glaube nicht, dass es so schnell. (Applaus) Ja, da bin ich nicht wirklich dagegen. Gleichwohl, letzter Punkt, ich denke es gibt ein paar ungelöste Fragen, um die man sich nicht drum drücken sollte, von der Höhe ganz abgesehen. Seit der ersten Phase, wo ich mich damit beschäftigt habe, wo es schon mal so eine gewisse Bewegung gab, Mitte der 1980er Jahre, haben sich die Rahmenbedingungen einfach sehr geändert. Wir haben wesentlich viel offenere Grenzen. Wir müssen hier nicht lang diskutieren, ob es Globalisierung als plötzlich hereinbrechende Naturgewalt gibt oder ob das ein langfristiger Trend ist. Irgendwie hat sich die Ökonomie transnationalisiert. Es ist nicht mehr so leicht, Konzepte im nationalstaatlichen Rahmen überhaupt zu entwickeln, wie dies vor zwanzig Jahren, fünfundzwanzig Jahren der Fall war. Die Grundeinkommensbefürworter heute scheinen mir über solche neuen Restriktionen, neuen Herausforderungen etwas großzügig hinwegzusehen. Das gefällt mir nicht so gut. Und der letzte Punkt ist, es macht schon solche Probleme, die erstaunlich hegemoniale Auffassung, nur eine Privatisierung von Teilen der Sozialpolitik könne uns retten, nur eine Umstellung auf private Altersvorsorge, nur eine Umstellung von Umlageverfahren auf Kapitaldeckungsverfahren könne unsere Alterssicherung retten, diese Hegemonie irgendwie zu durchbrechen, dass ich mich manchmal schon auch etwas ernüchtert frage, wie kommt man gegen den gut konzertierten Argumentationsmainstream an mit einer noch weitergehenden Forderung als der sehr bescheidenen, dass einige Teile des gegebenen Systems sozialer Sicherung nach wie vor eigentlich sehr gut sind. Vielen Dank. (Applaus)

Van Parijs:
Guten Abend, ich bin sehr zufrieden hier zu sein. Ich bin sehr zufrieden zu sehen, wie weit die deutsche Diskussion über das Grundeinkommen sich in den letzten Jahren, Monaten, Wochen entwickelt hat, unter anderem unter dem Einfluss, dem Impuls der drei anderen Sprecher an diesem Tisch. Ich bin auch sehr zufrieden, dass ich nur sehr kurz sprechen muss, weil ich noch bis gestern Abend in Japan war und auch weil ich nach einer Stunde in Deutschland nur sehr mühsam deutsch sprechen kann. Erstens, ist dann kurz, aber doch hoffentlich nicht zu konsensuell. Erstens: Massenarbeitslosigkeit nach meiner Meinung ist nicht die notwendige Folge des technischen Fortschritts und der Produktivitätssteigerung. Massenarbeitslosigkeit in den reichen Ländern ist nicht die notwendige Folge der Globalisierung. Massenarbeitslosigkeit ist nicht die Folge, die notwendige Folge der Verbindung, der Kombination des technischen Fortschritts und der Globalisierung. Massenarbeitslosigkeit ist die notwendige Folge der Verbindung von beiden, technischer Fortschritt und Globalisierung, mit den Institutionen unseres passiven Sozialstaates. Nämlich, was ist unser passiver Sozialstaat? Er besteht aus zwei Komponenten, die Beschützung der Arbeiter durch Mindestlöhne, durch die Regulierung der Arbeitsbedingungen, durch die Regulierung der Entlassungen, usw. und, zweite Komponente, Transferleistungen, die ausschließlich oder quasi ausschließlich für arbeitslose Menschen sind, die Älteren, die Arbeitsunfähigen, die offiziell Arbeitslosen usw. Zweitens: Wenn das das Problem ist, diese Verbindung, was ist die Lösung? Eine Lösung könnte sein, das Verzichten auf den Sozialstaat. Das wollen wir ja nicht. Die einzige andere Lösung besteht aus der Auswirkung, Entwicklung eines aktiven Sozialstaats oder eines aktivierenden Sozialstaats. Das ist ein Sozialstaat mit Transferleistungen, die nicht ausschließlich, selbst nicht vor allem nur marginal für Inaktive, für nicht arbeitende Leute sind. Es gibt aber eine ganze Reihe verschiedener Varianten eines solchen aktiven Wohlfahrtstaates, Sozialstaates. Eine extreme Variante, die repressivste Variante, ist das workfare: Zwangsarbeit. Der andere extreme Punkt, die andere extreme Variante ist ein bedingungsloses Grundeinkommen. Workfare bedeutet, dass man nur eine Transferleistung bekommt, wenn man arbeitsfähig ist, wenn man wirklich arbeitet. Ein Grundeinkommen, ein arbeitsloses Grundeinkommen bedeutet, dass man ein Grundeinkommen bekommt unter allen Umständen, wenn man arbeitet, wenn man nicht arbeiten kann und wenn man nicht arbeiten will. Aber zwischen diesen zwei extremen Punkten ist es wichtig zu verstehen, dass es verschiedene andere Varianten gibt, die zentral sein werden in der Sozialstaatsdiskussion in allen industrialisierten und nicht industrialisierten Ländern. Am extremen Punkt oder in der Nähe des extremen Punktes des workfare gibt es zum Beispiel einen Vorschlag wie der des amerikanischen Ökonomen Ned Phelps „Rewarding Work“, ein Bestseller in den Vereinigten Staaten, der die Subventionierung von Niedriglöhnen vorschlägt, aber nur für die Leute, die Vollzeit arbeiten. Und auch eine Art von Subventionierung, die von der Höhe des Stundenlohns abhängt, nicht vom Monatslohn, was einen großen Unterschied macht für Teilzeitarbeit. Das ist eine zweite Variante. Erstens: Workfare. Zweitens: Subventionieren von Niedriglöhnen nur für Vollzeitarbeiter. Dritte Variante: Abschaffung oder Kürzung von sozialen Beiträgen, sodass die Leute, die nur Niedriglöhne bekommen, keine sozialen Beiträge zahlen. Das ist auch eine implizite Subventionierung von Niedriglöhnen natürlich. Viertens: Was hier, glaube ich, Kombilohn genannt wird oder was angefangen hat in den Vereinigten Staaten unter dem Namen EITC, Earned Income Tax Credit. Wieder eine Art von Subventionierung von Niedrigarbeitseinkommen, aber eine Art von Subventionierung, die auch für Teilzeitarbeit gilt. Fünftens: Negative Income-Tax, negative Einkommenssteuer, wie in diesem Lande zum Beispiel von Joachim Mitschke[5], nicht nur in diesem Land, auch in dieser Stadt oder an dieser Universität vom Ökonomen Joachim Mitschke vorgeschlagen. Und endlich, dann sind wir schon in der Nähe des Grundeinkommens, schließlich Grundeinkommen selbst. Vom repressivsten zum emanzipatorischsten hat man da verschiedene Varianten des aktiven Sozialstaates, das heißt eines Wohlfahrtsstaats, der implizite oder explizite Transferleistungen organisiert für Leute, die Erwerbsarbeit ausüben. Grundeinkommen soll, ein bedingungsloses Grundeinkommen soll meiner Meinung nach gewählt werden, weil es die größte Freiheit gibt an diejenigen, die von der wirklichen Freiheit am wenigsten genießen. Ich glaube, dass die grundsätzlichste Rechtfertigung des Grundeinkommens eine Rechtfertigung auf Grund von Gerechtigkeit sein soll. Aber, so einfach ist das nicht, und ich habe in diesem Buch „Real Freedom for All“[6] versucht auf rigorose Weise eine Gerechtigkeitsauffassung zu entwickeln, die als eine ihrer Folgen die Rechtfertigung eines bedingungslosen Grundeinkommens hat. Was bedeutet das, und damit möchte ich enden, was bedeutet das für das Verhältnis zwischen Grundeinkommen und Arbeitsethik, was eines der Themen ist des Workshops. Arbeitsethik ist eigentlich sehr gut für das Grundeinkommen. Je stärker der Glauben der Mitglieder einer Gesellschaft in die Arbeitsethik, umso höher kann das Grundeinkommen dauerhaft bleiben natürlich. Das Grundeinkommen bedeutet nur, dass diese Arbeitsethik, oder die Rechfertigung eines Grundeinkommens erheischt nur, dass die Arbeitsethik nicht in die Institutionen, in die gesetzlich formulierten Pflichten eingeschrieben sein soll. Was ein Grundeinkommen bedeutet ist, dass man die größtmöglichste Verhandlungsmacht geben muss an die Leute, die die kleinste Verhandlungsmacht haben. Das heißt, Gerechtigkeit, aber nicht die Abschaffung der Arbeitsethik. Mit einer Arbeitsethik kann das Grundeinkommen leben, eigentlich viel besser leben als ohne Arbeitsethik. (Applaus)

Moderator:
Ja, vielen Dank für diese ersten Statements, und ich will auch gleich Ihnen die Gelegenheit geben, sofern Sie sich einschalten möchten, auf Ihre Kollegen auf dem Podium zu reagieren.

Werner:
Na ja, also. Das ist ja das Problem unseres Anliegens, dass es eine never ending story ist und insoweit ist ja jeder Aspekt, der jetzt beleuchtet worden ist, ich übernehme jetzt mal die Moderatorrolle, Herr Jansen, dass jeder Aspekt, der hier vorgeführt wurde und die Sache beleuchtet hat, der hat ja einen gewissen Zugang zu dem ganzen Problem. Aber wir müssen uns fragen als Gesellschaft, auf was es uns ankommt. Und so gesehen ist das bedingungslose Grundeinkommen eine normative Frage, eine normative Frage, weil wir uns fragen müssen, wie wollen wir miteinander umgehen? Und da möchte ich Sie (an das Publikum gewandt) so mal ein bisschen, ganz provokant ansprechen und muss Ihnen sagen, jeder von Ihnen ist ein potentieller Hartz IV-Fall. Bilden Sie sich ja nicht ein, dass es die andern betrifft. Es kann einem jeden passieren, meine Person inklusive. Sie wissen ja, welche Wechselfälle die Biographien so haben. Und wir müssen uns fragen, ob wir mit unseren Mitmenschen so umgehen wollen, wie wir heute umgehen. Das ist für mich die Hauptfrage, und ob wir das Ziel der Freiheit, der persönlichen Selbstbestimmtheit der Menschen, ob wir das wirklich ernst nehmen, nicht für uns, sondern auch für die böse Nachbarin. Die kriegt ja auch ein Grundeinkommen dann, ne. (Lachen im Publikum) Also das muss man sich, glaub ich, klar machen und, auch die Schwiegereltern übrigens (Lachen im Publikum). Also bitte, wir müssen uns deutlich machen, wenn wir Freiheit als gesellschaftliches Ziel haben, also nicht nur als ein persönliches, individuelles, sondern auch gesellschaftliches, dass wir des auch unseren Mitmenschen zubilligen wollen, dann müssen wir den Menschen die Möglichkeit geben zum Verzicht. Nämlich Freiheit entsteht ja nur dann, wenn ich in der Lage bin, zu verzichten. Und genau das Grundeinkommen, das würde diese Möglichkeit des Verzichtes, stellen Sie sich mal vor, wenn es ein Grundeinkommen gäbe, jeder hätte ein Grundeinkommen. Und deswegen ist es mir manchmal gar nicht so unrecht, wenn die Journalisten da höhere Beträge einem hineininterpretieren. Also anfangen muss man natürlich mit dem, was heute so Arbeitslosengeld II ist. Aber die Zielsetzung, dass das Grundeinkommen auch mal eine größere Größenordnung hat, das würde ja die gesellschaftliche Prosperität auslösen, dass der Kuchen größer wird, den es zu verteilen gibt. Aber das hätte zur Folge, dass die Menschen wirklich arbeiten, weil sie wollen, arbeiten, weil sie einen Sinn drin sehen. Und da würde unsere ganze gesellschaftliche Realität total anders aussehen. Wir wären ein Volk, stellen Sie sich mal vor, wir wären ein Volk von Freelancern. Jeder von uns ist ein Freelancer. Und stellen Sie sich mal vor, keiner von uns hier hätte faktisch, wäre beraubt seiner faktischen Opferrolle. Wie viele Menschen, die hier im Raum sind, haben so eine Opferrolle? Ich würde ja gerne, wenn ich könnte und mit meinem Mann und so und mit meinen Kindern und mit meinen Eltern, und ich hätte einen ganz anderen Beruf usw. Diese ganzen Opferrollen, in die wir uns permanent hineinflüchten, die kommen ja nur dadurch zu Stande, dass wir nicht die Fähigkeit haben zum Verzicht. Und deswegen kann ich Sie nur auffordern, träumen Sie mal so richtig, so I had a dream, träumen Sie mal so richtig durch, wie das wäre, wenn Sie ein Grundeinkommen gehabt hätten seit Ihrer Geburt, wie sich das verändert hätte, das Verhältnis zu Ihren Eltern, überhaupt die Situation Ihrer Eltern anders gewesen wäre, Nachbarn, Schwiegereltern usw., was es alles gibt. Also da kann man sich soviel überlegen. Aber diese Abwesenheit der Opferrolle, dieser Quell für Depressionen, das würde unsere gesellschaftliche Realität dramatisch ändern. Und was glauben Sie, was es auch für mich als Unternehmer, ich meine, stellen Sie sich mal vor, die Leute würden einfach nicht mehr kommen, würde keiner mehr kommen, stellen Sie sich mal vor. Also die Unternehmen müssten sich dann schon sehr wohl überlegen, wie sie ihre Arbeitsplätze so gestalten, dass es interessante Arbeitsplätze sind, dass es sinnschaffende Arbeitsplätze sind. (Applaus)

Moderator:
Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, und vielleicht darf ich die einfach mal hier an das Podium geben, ist, wie man sich denn eine, also die Übergangsfrage, die sie ja grade schon erwähnt haben, Herr Werner, wie man sich das vorstellen muss. Ist es überhaupt realistisch, ist das von heute auf morgen oder wie muss man sich so was vorstellen?

Werner:
Die Übergangssituation, also das Grundeinkommen ist eine Sache, die man auf längere Zeit sehen muss, aber mit der man morgen anfangen kann. Weil es ist ja absoluter Konsens bei uns, dass jeder, ich mein, es ist ja heute schon so in Deutschland, dass wenn Sie nicht arbeiten wollen, brauchen Sie auch nicht arbeiten. Sie müssen sich nur diesen ganzen Prozeduren unterwerfen. Aber hier kommt niemand um bei uns. Wir sorgen schon dafür. Also es ist anerkannt. Und wir können morgen damit anfangen, mit dem, was wir heute schon an Transferleistungen aufbringen, wäre genügend vorhanden. Es ist wirklich, meine Damen und Herren, es ist eine Frage unseres Umdenkens. Das Problem des Grundeinkommens ist nicht, dass es eine Frage ist, ob man es verwirklichen kann, sondern eine Frage ist, ob wir das so denken können. Und gehen Sie mal wirklich davon aus, dass ist alles schon bezahlt. Das ist alles finanziert. Weil wir leben doch nicht vom Geld, sondern wir leben doch von den Gütern. Es meinen zwar viele, sie leben von ihrem Geld, aber das ist doch nicht die Realität. Wir leben von den Gütern. Es ist alles schon bezahlt, es ist alles finanziert. Das Problem ist, dass wir es nicht denken können. Und damit hat jeder einzelne der hier Anwesenden mal zumindestens das Problem bei sich.

Oevermann:
Ich habe noch ein Problem zu Ihren Ausführungen von vorhin, Herr Werner. Sie haben, das haben Sie auch bei anderen Gelegenheiten häufig betont, dass auf dem Gebiet dessen, was Sie nennen die Kulturarbeit, jede Menge Arbeit brach liegt. Und das könnte man nun auf sehr unterschiedliche Weise verstehen. Das ist mir immer nicht so ganz klar, wie Sie das meinen. Etwa solche Leute wie Lafontaine, die gebrauchen das Argument auch. Und die meinen damit aber, dass gewissermaßen gemeinwohlorientierte Arbeit eigentlich da ist und vergeben werden müsste. Wobei man sich dann irgendwie das so vorstellen muss, jedenfalls bei Lafontaine, dass dafür eine irgendwie staatlich regulierte Entlohnung, eben aber kein Markt. Und da hätte ich gewisse Probleme. Denn das wäre wiederum eine Subventionierung, also eine Arbeit, für die nicht wirklich eine Nachfrage am Markt da ist, so dass die auch bezahlt wird, authentisch bezahlt wird, dass eine wirkliche Austauschrelation dafür vorliegt. Die ist tendenziell eher erniedrigend als erfüllend. Man kann aber auch Ihre, was Sie gesagt haben, anders lesen. Man könnte es so lesen, dass dadurch, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen bezogen wird, gewissermaßen auch in dieser Befreiung, die darin liegt, mehr Zeit und auch innere Berechtigung sozusagen dafür da ist, also im weitesten Sinne Kulturarbeit. Darunter könnte man ja erstmal ganz eng verstehen, dass die Leute mit Recht sich zum Beispiel mehr Gedanken darüber machen, wie man vernünftig seine Kinder erzieht und sich mit ihnen beschäftigt. Und das könnte ja auch eine durchaus in hohem Maße, hat es ja auch sowieso meistens schon, sinnstiftende Funktion haben. Und es könnte bedeuten, dass auch diese Befreiung zur Kehrseite hätte, eben eine größere Motivation zur Gemeinwohlorientiertheit. Das wäre aber eben etwas grundsätzlich anderes als zum Beispiel bei Beck[7] in dieser Komplementarität von Bürgerarbeit und Gemeinwohlunternehmer.[8] Das ist für mich im Grunde genommen nichts anderes als die Horrorvorstellung einer gesteigerten Arbeitshauskonzeption aus dem 17. Jahrhundert.

Moderator:
Wollen Sie vielleicht darauf antworten?

Werner:
Na ja, also das ist eine Menschenbildfrage, was hier jetzt zum Vorschein gekommen ist, ne. Habe ich das Menschenbild: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, von meinen Mitmenschen. Oder habe ich das Menschenbild, was ich ja auch von mir selbst habe, das ich das dann auch den anderen Mitmenschen angedeihen lasse: Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen? (Oevermann nickt) Und Lafontaine ist ein eindeutig etatistischer Mensch. Das sind Leute, die Menschen dirigieren wollen (Oevermann nickt) und nicht Menschen frei geben wollen. Sir, geben Sie Gedankenfreiheit, das ist doch die Frage, die uns, die Bestimmung, die uns Schiller mit gegeben hat. Und da müssen wir drauf setzen. Und wir nehmen es für uns selbst ja auch in Anspruch. Bitte, ich frage immer die Menschen, ja wie ist es bei Ihnen? Ah ja klar, ich würde ja, ne, aber die anderen. Das Problem ist doch, dass wir alle zwei Menschenbilder in uns haben. Eins von uns selbst und eins von unseren Mitmenschen. (Lachen, Applaus)

Vobruba:
Also zum einen, ich merke, dass die Gefahr, dass wir uns einig sind, halte ich nach wie vor für gegeben. Die Gefahr, dass wir uns einig sind, halte ich nach wie vor für gegeben, und das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Der nächste Punkt, Herr Oevermann, wie war das? Arbeit, für die keine direkte Nachfrage auf dem Markt besteht, die aber irgendwie bezahlt ist, ist erniedrigend?

Oevermann:
Tendenziell, ja, weil.

Vobruba:
Also da wehrt sich meine professorale Ehre und in Ihrem Namen verteidige ich das gleich mit. Also für unsere Arbeit besteht auf dem Markt keine Nachfrage. Und ich empfinde sie eigentlich als ganz angenehm. (Lachen, Applaus) Ich mein, gut, das war einerseits aufgelegt vom Herrn Kollegen, anderseits steckt da ein ernster Kern drinnen. Es ist erstaunlich, in welch hohem Maße etwa im akademischen System intensivst gearbeitet wird, wirklich intensivst gearbeitet wird, bis weit über die Selbstausbeutung hinaus, was wirklich nicht notwendig wäre. Man bekäme sein Geld auch so. Glauben Sie mir das. Die Zahl derer, die ihr Geld abheben und auf Minimalismus drauf sind, ist extrem gering. (Oevermann: ja) Die ist extrem gering. Dies als Beitrag dafür, es wird gearbeitet. Und der Nexus zwischen Arbeitsmotivation und Erwerb ist, wenn überhaupt gegeben, so relativ lose. Die Entkopplung von Arbeit und Einkommen schreitet durchaus voran. Und das bringt mich zu einer Bemerkung von Herrn Werner, wir könnten morgen anfangen. Also ich würde erst einmal sagen und irgendwie, ich hab mir zwar vorgenommen, den Wissenschaftler hier nicht sonderlich zu vertreten, aber irgendwie liegt mir das Beobachten der Gesellschaft und auch der Politik in der Gesellschaft, und da sehe ich, dass es längst angefangen hat. Und ich halte es nach wie vor für sehr sinnvoll zu gucken, welche bestehenden Ansätze, bestehende Tendenzen sich nützen ließen. Irgendwie ist mir die Rede von, wir müssen alle umdenken und dann das Grundeinkommen in einer Art Urknall einführen, mir ist das irgendwie zu einfach und zu kompliziert zugleich. Oder sagen wir schlicht und ergreifend, ich kann’s mir nicht vorstellen, was mich zum nächsten Punkt bringt, wer ist eigentlich die ganze Zeit wir? Ich höre das in jedem dritten Satz. Wer bitte ist wir? Lassen wir das einfach so stehen. (Applaus)

Van Parijs:
Wie fangen wir morgen an? (Zuhörer: heute) Oder heute Abend, wenn es noch Zeit gibt (Lachen). Das erste, was man machen kann, um diese Frage zu beantworten, ist zu gucken, wo ein Grundeinkommen schon existiert. Gibt es irgendwo in der Welt einen Ort, wo es ein Grundeinkommen, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle gibt? Ja oder nein? Wo? (Zuhörer: in Alaska) In Alaska. Das weiß jeder in Deutschland. Ja, da gibt es ein Grundeinkommen, nicht sehr hoch, jetzt ungefähr 1000 Dollar pro Person, auch pro Kind, pro Jahr, nicht pro Monat. (Lachen) Nicht so viel, nicht genügend sicherlich, um davon in Alaska sein Haus wärmen zu können. Aber doch es existiert bedingungslos und auch politisch unproblematisch. Es gibt niemanden in Alaska, keine Partei, Republikaner oder Demokraten, die das Grundeinkommen abschaffen will. Könnten wir das nicht verallgemeinern? Natürlich gibt es kein Öl im Boden unserer Länder. Aber es gibt andere Ideen, die jetzt schon diskutiert werden in der internationalen Diskussion, wie zum Beispiel, könnte man nicht die Emissionsrechte für die Verschmutzung der Atmosphäre verkaufen und den Verkaufserlös dieser Rechte dann zwischen allen Leuten des Landes oder der Erde verteilen? Das ist auch nicht etwas, dass wir heute Abend machen könnten, aber vielleicht übermorgen. Das ist eine Möglichkeit, aber nicht die realistischste. Die andere Möglichkeit ist viel realistischer, und es gibt Länder, wo man nicht sehr weit von der Verwirklichung dieser zweiten Möglichkeit entfernt ist. Die Niederlande wären das Land, das der Verwirklichung am nächsten ist. Und das ist sehr einfach. Eigentlich gibt es jetzt schon Leute, die Transferleistungen bekommen, die höher sind als ein geringes Grundeinkommen. Zum Beispiel, man kann denken an ein Grundeinkommen bedingungslos von ungefähr 300 Euro, nicht genügend, um davon leben zu können, aber doch auch nicht unbedeutend für ärmere Leute. Die meisten, quasi alle Transferleistungen sind jetzt pro Person höher als 300 Euro. Und dann gibt es eine, das ist ungefähr in verschiedenen Ländern ein Drittel oder ein Viertel der Bevölkerung. Und dann gibt es andere Leute, die jetzt ein Erwerbseinkommen bekommen, worauf sie ein Geschenk, ein Steuergeschenk bekommen in der Form einer geringen Besteuerung der unteren Einkommensschicht, die auch gewöhnlich, es hängt vom Land ab, auch gewöhnlich mehr als 300 Euro wert ist, sodass die Nettokosten eines Grundeinkommens von 300 Euro wäre nur für den Teil der Bevölkerung, der keine Transferleistungen bekommt und kein Erwerbseinkommen bekommt, das genügend ist, um ein Steuergeschenk von zumindest 300 Euro zu implizieren. Das ist nur ein geringer Teil der Bevölkerung, und mit den Kombilöhnen oder EITC usw., die jetzt in verschiedenen Ländern, auch in Großbritannien, in Frankreich, in den Niederlanden eingeführt werden, wären die Nettokosten noch kleiner, sodass wir schon morgen oder übermorgen in einer Lage sein werden, wo man ein geringes Grundeinkommen einführen kann, das eigentlich billiger wäre als die heutige, kompliziertere Situation. Es ist natürlich deutlich, dass das keine volle Ergänzung wäre, auch nicht der Sozialhilfekomponente unseres Wohnfahrtstaates. Aber es wäre doch eine Vereinfachung und eine Reduzierung der schlechten Effekte einer Reihe von Elementen des passiven Sozialstaates, den wir jetzt haben. (Applaus)

Moderator:
Darf ich ganz kurz an die Frage von Herrn Vobruba erinnern? Er hatte ja gefragt, wer sind wir. Und wenn ich ihn richtig verstanden habe, implizierte das auch die Frage gewissermaßen der Legitimation und die Frage, wer ein Grundeinkommen erhalten soll. Es war vorhin schon die Rede davon, jeder Staatsbürger. Darf ich Sie dazu einladen, kurz zu diesem Punkt noch Stellung zu nehmen, also zu der Frage der Legitimation. Letztendlich verbindet sich das wahrscheinlich auch mit der Frage der politischen Durchsetzung.

Oevermann:
Ja, ich bin schon der Meinung, für jeden. Und man müsste vielleicht darüber reden, ob es Staffelungen gibt. Also manche schlagen ja vor, für Kinder, solange sie in ihrer Familie leben, also sagen wir mal so bis sechzehn, einen geringeren Betrag, weil ja das, unter der Bedingung, dass sie in der Familie gemeinsam leben, in eine gemeinsame Kasse geht. Gegen andere Staffelungen würde ich mich wehren, also altersabhängige, entsprechend der, manche schlagen vor, ich glaube, Herr Werner, Sie auch, entsprechend der biologischen Lebenskurve sozusagen, das würde ich ablehnen, sondern gleich bleibend. Ich frage mich, wenn jetzt die Frage schon aufgeworfen ist, wie kann die Transformation aussehen. Das Wort Verhandlungsmacht ist ja schon gefallen. Ich glaube, Herr Van Parijs hat es vorhin genannt. Da sehe ich eine gewisse Schwierigkeit, weil es müssen sich ja dann diejenigen, die noch Arbeit haben und diejenigen, die nur vom Grundeinkommen leben, letztlich balgen politisch um die Höhe jeweils, die das Grundeinkommen haben soll. Und natürlich auch schon ist die schwierige Frage ja, wer ist der Träger für die Einführung, denn es muss ja irgendwo eine auf Mehrheitsentscheidung beruhende gesetzliche Regelung irgendwann mal geben. Das geht ja nicht anders. Und wie lässt sich das realisieren, wer führt im Namen eines solchen entscheidenden Programms Wahlkämpfe? Die Frage ist ja ganz schwer zu beantworten. Die wird auch noch schwieriger dadurch zu beantworten, wenn alle nämlich das bedingungslose Grundeinkommen bekommen, wofür ich sehr bin, ich kann es mir nicht anders vorstellen, weil es sonst nicht greift, dann ist es schwierig eine Parteiung zu erreichen. Also irgendwie müssten ein Teil derjenigen, die das bedingungslose Grundeinkommen bekommen und noch ein Arbeitseinkommen zusätzlich erwerben, die müssten sich miteinander streiten. Wobei immer die Schwierigkeit die ist, dass die Gruppe, wie ich mir vorstelle, die Gruppe derjenigen, die von Anfang an, von der Wiege bis zur Bahre, nur von dem bedingungslosen Grundeinkommen leben, diese Gruppe, für die das stabil ist, relativ klein sein wird. Also die Gruppe derjenigen, die hin und her wechseln, wird größer sein. Und das wirft natürlich Folgeprobleme für Parteienstreit aus, der aber irgendwo sich artikulieren muss, um die politische Transformation anzuleiern. Da sehe ich eine gewisse Schwierigkeit.

Werner:
Also Herr Kollege, das deckt sich mit meinen Staatsbürgererfahrungen gar nicht, sondern das Grundeinkommen können sie genauso einführen wie Hartz IV. Da brauchen Sie bloß eine Mehrheit im Parlament, können Sie ein Grundrecht draus machen, da brauchen Sie zwei Drittel. Und machen Sie sich mal über die Politiker keine Gedanken. Wenn die Politiker wissen, woher der Wind weht, und der kommt immer aus unseren Köpfen ne, dann sind die wie die Segler. Dann setzen die ihre Segel. (Applaus) Und sie werden sich dann für das Parteiprogramm entscheiden, was am ehesten ihren Vorstellungen entspricht. Also da wird ein edler Wettstreit sein um die Gunst der Bürger. Aber ich glaube, die Frage von unserem Moderator hat noch eine andere Tendenz gehabt, wie man das abgrenzt. Also die Frage, wer von den Menschen, die in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland leben, was für Leistungen in Anspruch nehmen kann und wer da ein Bürgerrecht hat und wer nur ein Aufenthaltsrecht hat und wer ein Arbeitsrecht hat usw. Die Frage müssen wir heute schon klären, und das wird auch in Zukunft so sein, dass wir uns immer klar machen müssen, wer gehört zu uns, wer gehört nur vorübergehend zu uns und wer gehört eigentlich nicht zu uns. Die müssen wir heute schon klären. Das wird auch dann nicht anders sein.

Moderator:
Sie (an die Zuhörer gewandt) scheinen sehr erfahrene Grundeinkommensdiskutanten zu sein oder Zuhörer von Diskussionen dazu. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Aber ich will dennoch gewissermaßen eine eher zynisch geartete Rolle einnehmen und fragen, wieso soll ich mit meinen Steuern jemanden andern finanzieren. Und lässt sich das überhaupt finanzieren? (unverständliche Äußerungen aus dem Publikum) Na ja, die Staatskasse, Sie sehen doch, was los ist. Woher soll das Geld kommen?

Werner:
Da haben wir jetzt eine ganz neue Baustelle. (Lachen) Dass das natürlich so ist, dass wir heute, ich habe das vorhin schon in meinen einleitenden Worten gesagt, wir haben das Problem, dass wir die Probleme von heute mit einem Steuersystem von gestern bewältigen wollen, was die Probleme von heute herbeigeführt hat. Soll ich es noch mal wiederholen? (Applaus) Albert Einstein hat es ja schon aufgesetzt, den Grundsatz. Unser einkommensbasiertes Steuersystem, was aus der Selbstversorgerwirtschaft kommt, beschert uns die Probleme, die wir heute haben. Und wir versuchen, mit diesem einkommensbasierten Steuersystem die Probleme zu lösen, die dadurch entstanden sind. Schauen Sie mal, in der Fremdversorgungswirtschaft, d.h. jeder von uns arbeitet für jemand anders, keiner von uns arbeitet für sich selbst, ist es natürlich ein Wahnsinn, dass man den Leistungsbeitrag besteuert. Was wir erleben, wenn wir beitragen wollen, erleben wir Progression, wenn wir Leistungen anderer in Anspruch nehmen, nämlich konsumieren, dann erleben wir ein Dutzend billiger. Genau das ist die Sache, die Realität auf den Kopf gestellt. Das war in der Selbstversorgungswirtschaft richtig. Der, der sich am besten selbst versorgen kann, soll auch meisten den anderen helfen, denen es nicht so gelingt. Aber das ist inzwischen anders. Jetzt müssen wir das Wertschöpfungsergebnis besteuern. Aber das können wir nur mit einer Konsumsteuer. Die Konsumsteuer ist die Mehrwertsteuer, die leider verunglimpft worden ist, und zwar von den Grünen und den Roten wider besseren Wissens, sonst wär’s ja nicht auf drei Prozent gekommen im Koalitionsvertrag. Kann man gut merken, das war verräterisch. Also indem wir das gesamte Leistungsergebnis besteuern, und das können wir nur mit der Konsumbesteuerung. Wer mehr konsumiert, zahlt mehr Steuer. Wer weniger konsumiert, zahlt weniger Steuer. Und die gesamte Wertschöpfungsbreite wird besteuert und nicht nur die Menschenarbeit. Unser Problem ist doch heute, dass wir fast ausschließlich die Menschenarbeit besteuern und dadurch auch die ganzen Arbeitsplätze uns verloren gehen. (Applaus) Das ist nicht das Problem der Globalisierung, sondern das Problem unseres Steuersystems. Das muss man wirklich mal durchdenken. Und dann kommt man sehr schnell dahinter, ist auch in der Wissenschaft teilweise gar nicht bestritten. Das müssen wir als Bürger aber umdenken. Und da wir immer noch meinen, dass die Besteuerung des nominalen Einkommens die sozial gerechte wäre, kommen wir zu diesem Fehlverhalten. In Wirklichkeit kommt es doch nicht drauf an, was ich nominal für ein Einkommen hab, sondern was ich real für ein Einkommen habe. Und das reale Einkommen ist immer mein Konsum. Nämlich das ist das, was ich von anderen Menschen in Anspruch nehme. Das ist sehr schwer umzudenken. Glauben Sie mir.

Zuhörer:
Was macht jemand, der Schwierigkeiten hat, sein Geld auszugeben wie Sie?

Werner:
Erstens frage ich mich, woher Sie das wissen. (Lachen) Also wenn jemand Schwierigkeiten hat, sein Geld auszugeben, dann gibt’s zwei Möglichkeiten. Entweder er investiert, dann tun andere konsumieren. Oder er verschenkt’s, dann tun auch andere konsumieren. Er kann’s noch verbrennen. Das geht auch. Aber das bringt nix. Wissen Sie, Geld wird immer erst wirksam, wenn’s konsumiert wird. Egal, was Sie mit ihrem Geld machen, irgendjemand konsumiert immer. Auch wenn Sie sparen, dann konsumiert jemand anderes. Das muss man einfach mal denken können. Und wir sind immer betäubt durch diesen Geldschleier. Und auch diese ständigen Unwahrhaftigkeiten, die man in der Gesellschaft hört, dass man sagt, wir können keine Straßen bauen, weil wir sie nicht finanzieren können. Und gleichzeitig gehen Straßenbaufirmen Konkurs und entlassen Leute. Muss doch unwahrhaftig sein. Wahrhaftig wäre, wenn man sagen würde, wir können keine Straßen bauen, weil niemand da ist, der Straßen bauen kann. (Applaus) Und der Oswald Nell-Breuning, der hier in Frankfurt an der Georgenschule gelehrt hat, der hat schon vor vierzig oder fünfzig Jahren gesagt, alles, was produziert werden kann, ist auch finanzierbar, vorausgesetzt wir haben den ehrlichen Willen dazu. Ich würde sagen, vorausgesetzt, man kann das denken.

Van Parijs:
Noch ein Wort zur Finanzierung. Ich habe schon zwei Arten von Finanzierung suggeriert. Ich bin eigentlich einverstanden mit Götz Werner, dass es vernünftig wäre, mehr mit einer Konsumsteuer zu finanzieren. Klassisch, gewöhnlich gibt es ein Linksargument gegen die Konsumsteuer, nämlich dass sie regressiv ist, dass die Ärmeren eine größere Proportion ihres Einkommens bezahlen, wenn es eine Konsumsteuer gibt und keine persönliche Steuer. Aber wie die Einkommenssteuer jetzt funktioniert, ist sie jedenfalls auch nicht mehr progressiv, weil die reicheren Leute auch mehr Möglichkeiten haben, um einen Teil ihres Einkommens entweder zu verstecken oder steuermindernd zu machen. Ich möchte noch eine andere Möglichkeit suggerieren, das wäre eine Super-Tobin-Steuer (Zuhörer: Ja). Aber nicht Tobin! Mit Tobin allein kann man nicht viel finanzieren. Was man damit finanzieren könnte, und das wäre vernünftig, wäre zum Beispiel einen großen Teil der Kosten der supranationalen Organisationen. Super-Tobin ist viel radikaler. Es wäre eine Steuer auf alle Transaktionen, alle Zahlungen, alle elektronischen Zahlungen, auch intern, auch in einem Land. Mit einem sehr kleinen Steuersatz, 0,05 oder so von jeder Transaktion, könnte man fast so viel finanzieren wie mit 20 Prozent von jedem Einkommen. Wenn man zum Beispiel alle Geldscheine abschafft und nur mit Euro-Münzen zahlen kann, dann wird die Mehrzahl aller Zahlungen elektronisch funktionieren, mit Karten usw. Und auch jetzt ist das für alle möglich. Man kann auch die Gesellschaft besser organisieren, sodass es auch für die Ärmeren und die Älteren so funktionieren kann. Und dann in einem sehr kleinen Satz auf jede elektronische Rechnung könnte man auf eine sehr schmerzlose Weise, weil es nicht spürbar ist, eigentlich viel, eine große Umverteilung finanzieren. Nur eine Möglichkeit, nicht für morgen, nicht für übermorgen, aber vielleicht etwas später.

Moderator:
Herr Vobruba

Vobruba:
Lassen Sie mich noch mal kurz auf Probleme zu sprechen kommen. Also zum einen, natürlich ist das Finanzierungsproblem lösbar. Es gibt noch eine andere, relativ plausible Argumentation dafür, dass übrigens nicht nur die Finanzierung eines Grundeinkommens sondern die Finanzierung unseres Gemeinwesens überhaupt verstärkt durch Konsumsteuern in Angriff genommen werden muss, und das ist vielleicht etwas prosaischer, aber wichtig. Sie haben in einer entgrenzten Welt Chancen, nachhaltig Steuern einzunehmen als Staat nur dann, wenn Sie eine Steuerquelle auftreiben können, die nicht davonlaufen kann. (Applaus) (Werner: Das ist die Konsumsteuer. Das ist die Konsumsteuer) Ja, natürlich ist das die Konsumsteuer bzw. eine Steuerquelle, die nicht glaubhaft damit drohen kann, davonzulaufen. Das reicht nämlich. Das ist der eine Punkt. Ein weiterer Punkt ist, wir sollten unbedingt, wenn wir so diskutieren, das Verhältnis unserer Grundeinkommensidee zu dem bestehenden System sozialer Sicherung mit ins Auge fassen. Es macht einen extrem großen Unterschied, ob man ein Grundeinkommen versteht, in irgendeiner Art und Weise eingebaut in das bestehende System oder ob man es sich als radikale Alternative vorstellt. Meinen Damen und Herren, das ist so wichtig unter anderem, weil man je nach dem, wie man das denkt, vollkommen andere Bündnisgenossen hat. Die Idee, ein Grundeinkommen einzuführen und dafür so gut wie alle Sozialleistungen zu kassieren, das ist sozusagen FDP Plus. Das kann man wollen, aber das soll man dann auch so sagen. In dem Moment aber, wo man ein Grundeinkommen einbaut in die bestehenden Systeme, hat man ganz andere Gewinner und Verlierer eines solchen Projekts, dafür aber auch andere Kosten. Und ein großer Vorteil fällt nicht mehr in dem Ausmaß an, nämlich die administrative Vereinfachung. Ein letzter Punkt, man sollte immer bedenken, dass ein Grundeinkommen insofern einen radikalen Politikwandel bedeutet und insofern eine Zumutung an professionelle Politiker, als damit das Ende der Stellvertreterpolitik eingeläutet wird. Ich weiß zwar nicht so ganz genau, was Lafontaine hinter der Bühne macht, aber vermutlich seine Identität pflegen. Und die, aber nicht nur seine, besteht darin, Interessen, echte, eingebildete, was auch immer, anderer Leute wahrzunehmen. Ein Grundeinkommen muss einen professionellen Politiker zutiefst verstören, (Oevermann: ja) (Applaus) weil es auf dem Gebiet nach der Einführung für ihn nichts mehr zu tun gibt. Das muss man verstehen.

Moderator:
Auf welchem Gebiet genau?

Vobruba:
Auf dem Gebiet der Sozialpolitik gibt es dann nichts mehr zu tun.

Werner:
Es gibt keine Wahlgeschenke mehr.

Vobruba:
Ja, all das.

Werner:
Aber er kann für die Verdoppelung eintreten.

Vobruba:
Ja, das kann man dann immer noch machen, ja. (Lachen)

Moderator:
Herr Oevermann.

Oevermann:
Ich habe schon Probleme mit der Konsumsteuer. Was Herr Van Parijs eben gesagt hat über die Super-Tobin-Steuer, damit bin ich sehr einverstanden. Aber ich sehe da schon noch eine Differenz, Herr Werner, zur Konsumsteuer. Ich sehe bei der Konsumsteuer doch folgendes Problem, dass das Geld oder wenn Kapitalbesitzer das geheckte Kapital reinvestieren, bezahlen sie keine Konsumsteuer, gewinnen aber enorm viel Macht und Einfluss, kumulativ, und das setzt sich fort. Also darin sehe ich schon ein Problem, wenn es nur bei der Konsumsteuer bliebe. Bei der Super-Tobin-Steuer würde das mit abgedeckt sein. Das ist schon, glaub ich, ein großer Unterschied. (Applaus)

Werner:
Also, mit Verlaub, Herr Kollege, das ist ein Ammenmärchen. Also die Menschen, die Kapital einsetzen, die setzen nie ihr eigenes Kapital ein, sondern immer das Kapital von Ihnen, was Sie sparen. (Oevermann: Ja, aber sie gewinnen dabei.) Sie sind die Heuschreckennahrung, das muss ich Ihnen mal

Oevermann:
Ja, aber

Werner:
Ja brr-brr-brr (Lachen im Publikum)

Oevermann:
Aber Sie gewinnen doch dabei.

Werner:
Nein, das tut’s ja dann auch. Glauben Sie doch ja nicht, dass die ganzen Leute, die die Kapitalverschiebung machen, die setzen Ihr Geld ein, was Sie sparen, weil Sie kein Grundeinkommen in Aussicht haben in Ihrem Alter. Das ist doch das Problem. Dadurch dass wir, wir sparen doch nur wegen dem Sicherheits#, denk daran, schaff Vorrat an, ne, wegen der mangelnden Sicherheit. Und jetzt überlegen Sie mal, wenn Sie ein Grundeinkommen hätten, von 1000 Euro zum Beispiel monatlich, und Ihr Lebenspartner auch, usw. wie Sie dann, wie viel Sparverträge Sie absagen würden. Wie Sie ganz anders Vorsorge machen würden. Dass sich das Geld so staut, das liegt doch daran, dass uns permanent eingeredet wird, die Renten sind unsicher. Jetzt erklär mir doch mal einer hier in dem Saal, wieso die Renten unsicher sein sollen, wenn wir ertrinken in Ware. Wir denken uns arm im Überfluss, ne. Und dieses Geld, was uns so ärgert, ne, diese, was heute so nett mit Heuschrecken bezeichnet wird, das stammt von uns. Das stammt von uns. Leute, die was vorhaben, haben immer zu wenig Geld. Ich habe noch nie zu viel Geld gehabt. Also was der Kollege vorhin gesagt hat, das ist eine totale Umdrehung der Mittel. Wenn Sie Unternehmer sind, haben Sie nie genug Geld. Und wenn Sie meine Schulden haben wollen, kriegen Sie die gleich nachher abgetreten. (Lachen) Da fallen Sie um, wenn Sie hören, wie viel das ist. Aber dieses Geld, was da so vagabundiert und sein Unwesen treibt, das sind unsere Spargelder, das sind Ihre Lebensversicherungsbeiträge und und und und und. Und Ihre ganzen Versicherungsbeiträge etc. Warum machen wir das? Weil wir, die Zukunft immer unsicher ist. Und das würde das Grundeinkommen, wenn Sie da sich mal reinträumen, dramatisch verändern. Stellen Sie sich mal vor, Sie treffen einen Bettler auf der Kaiserstraße hier in Frankfurt mit Grundeinkommen. (Lachen) Ja, ne völlig andere, na der kann ja weiterbetteln, hab da nichts dagegen zu sagen, aber der hat ein Grundeinkommen. (Applaus)

Moderator:
Gut, noch eine Frage von meiner Seite, um dann also die Diskussion auch zu erweitern. Vielleicht ist ja nicht ganz unwichtig oder vielleicht ist das eine falsche Einschätzung. Es ist doch interessant, dass momentan das Grundeinkommen in der deutschen Öffentlichkeit, und nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit natürlich, also ein doch recht großes Interesse erfährt, vergleichsweise. (Werner: Konjunktur) Ja. (Oevermann: Aber erst seit kürzestem. Das hat ja unglaublich lange Anlaufzeit gebraucht.) Ja, meine Frage ist nun, es hat ja nun, die Idee des Grundeinkommens ist in Varianten früher ja schon mal aufgetaucht. Was ist früher anders gelaufen, so dass das gewissermaßen eher wieder versandet ist und also mit welchen Pro# kann man da etwas ableiten für die Situation heute und worauf man dann achten muss. Sind die Argumente einfach besser?

Oevermann:
Ich denke, dass das auf ein Feld führt, auf dem auch die Bedingungen und Faktoren zu analysieren sind, die bei der Transformation, bei dem Versuch der politischen Realisierung zu beachten sind. Also ich denke, dass der Hauptfaktor, darüber haben wir ja heute Nachmittag in dem Workshop auch schon gesprochen, ist gewissermaßen das verinnerlichte, tief eingewurzelte Arbeitsethos. In der tradierten Form kommt es zugleich einem Tabu gleich, aus dem heraus nach dem alten Thessalonikerspruch, den Sie alle kennen, wer nicht arbeitet, soll nicht essen, das ist ja eine Lesart dieses Arbeitsethos, und das ist so tief eingewurzelt, dass das also geradezu eine Art Schnappreaktion ist, sobald vom bedingungslosen Grundeinkommen gesprochen wird. Und das hat lange gedauert. Ich denke, dass Ihre (zu Werner gewendet) Kampagne in den Tageszeitungen. Wann war das? Jetzt vor drei oder vier Monaten, oder vor einem halben Jahr? (Werner: Nee, das war im Herbst) Ja, das dass (Werner: 2005) oder ja, so lange schon her, ja, dass das in Deutschland für die Diskussion, und das Stern-Interview, ganz wichtig war. Aber da kommen wir auf die Medien, die natürlich bei der Transformation eine ganz entscheidende Rolle spielen. Und warum ist das so wichtig gewesen? Ja, weil für die Medien ein Unternehmer, der gleichzeitig noch sehr erfolgreich ist und den Eindruck macht, dass er reich ist (Lachen, Applaus), dass der sich für so etwas einsetzt, das ist natürlich für die Medien also geradezu sensationell. Und entsprechend wird das, ich werde das ja morgen analysieren, die Talkshow, in der Sie aufgetreten sind, die erste große bei Maischberger. Und da kann man sehr schön sehen, was da alles so gelaufen ist.

Werner:
Ich tu Ihnen doch mal die Biographie noch ein bisschen schildern, was er eben gerade gesagt hat. Der Ausgangspunkt war im März 2005 das Interview in Brand Eins. (Oevermann: ja) Brand Eins ist die Chefredakteurin, die Gabriele Fischer, die war früher stellvertretende Chefredakteurin bei Managermagazin. Ich kenne die Dame schon ziemlich lange. Und seit dem Jahr 1999 rede ich an die Frau Fischer hin, immer wenn ich sie sehe, so zwei dreimal im Jahr sag ich zu ihr, Frau Fischer, Konsumsteuer, Grundeinkommen. (Lachen) Und dann sagt sie immer, Utopie, ist nicht durchführbar, gar nix. Also immer wieder. Dann hatte ich sie im Frühjahr 2005, eben kurz vor diesem Interview, hatte ich sie eingeladen bei meinen Studenten einen Vortrag zu halten, habe ich sie anschließend ins Hotel gefahren und da erzählt sie mir, irgendjemand hätte da wieder einen tollen Vorschlag gemacht mit Steuern usw. Da hab ich gesagt, Frau Fischer (Lachen), ich habe ihnen doch schon seit fünf Jahren gesagt. Das geht so überhaupt nicht, sondern wir müssen umdenken auf Konsumsteuer. Ja ja ja und dann waren wir am Hotel, sie ist ausgestiegen. Drei Tage später ruft sie mich an und sagt, Herr Werner, da müssen wir ein Interview machen. Solange hat das gedauert, verstehen Sie? Man muss auch einfach wissen, dass wie hat der Viktor Hugo gesagt, keine Idee ist so stark wie deren Zeit gekommen ist, so ungefähr. Die Sachen haben auch ihren Kairos, und schauen Sie mal, wenn Sie den Wahlkampf nehmen, den letzten Bundestagswahlkampf, da hat doch jede Partei die gleiche Parole gehabt. Das ist doch eigentlich schon verdächtig. Und wenn im Dezember der Stuttgarter Oberbürgermeister, also nach der Bundestagswahl, mich anruft und sagt, Herr Werner, kommen Sie doch mal nach Stuttgart ins Rathaus und erklären Sie mir mal Ihre Idee mit dem Grundeinkommen, nämlich eins ist mir jetzt klar geworden, dieses ganze Gerede, war ein paar Wochen nach der Bundestagswahl, das ganze Gerede mit Wachstum und Arbeitsplätzen, das ist hinter uns. Die Arbeitsplätze, die jetzt im Neckarraum verloren gehen, die kommen nicht mehr wieder. Sagt der Stuttgarter Oberbürgermeister. Das war nicht der von Chemnitz oder von Gelsenkirchen oder von Cottbus. Das war der von Stuttgart. Das wäre doch überhaupt nicht möglich gewesen vor zehn Jahren. Also ich denke, dass die Menschen jetzt erleben, die Parolen, dass die nicht mehr ziehen, und dass sie einfach in ihrer individuellen Arbeitsplatzsituation erleben. Jetzt frag ich Sie mal, wer von Ihnen macht denn seine Bankgeschäfte via Internet auf seinem Konto? Heben Sie doch mal die Hand hoch. (zahlreiche Zuhörer heben die Hand) Ja, gucken Sie mal, alles Arbeitsplatzvernichter. (Lachen) Und fragen Sie mal einen Banker, ob er sich das vor zehn Jahren hätte vorstellen können. Jeden Banker, den ich bisher gefragt habe, sagte, unvorstellbar. Hätten wir uns nie gedacht, dass die Kunden via Internet ihre Bankgeschäfte auf dem Bankkonto selbst machen. Und jetzt waren das hier schon zwei Drittel der Leute haben die Hände hochgehoben. Da sehen Sie, wie die Produktivitätsentwicklung expotentiell ist. Und das kommt jetzt richtig, glauben Sie mir, das kommt jetzt richtig durch. Und auch wir bei dm, muss ich Ihnen sagen, wir hätten uns nicht vorstellen können vor zwanzig Jahren, dass wir mal in der Weise produktiv arbeiten können wie heute. Das sehen Sie an den günstigen Preisen bei uns. (Lachen, Applaus)

Van Parijs:
Ja, kurz über dieselbe Frage im internationalen Kontext. Ich glaube, dass es auch individuelle, konjunkturelle Elemente gibt. Man braucht, um der Diskussion wirklich einen Impuls zu geben, charismatische Leute wie Herr Werner, die es auch in anderen Ländern zuweilen gibt. Zum Beispiel das belgische Äquivalent von Götz Werner ist ein Industrieller, der Roland Duchâtelet heißt, vielleicht haben Sie ihn (Jemand sagt „nee“). Vor sechs Jahren hatte er die Idee, dass die Lösung für unsere Gesellschaft darin besteht, ein Grundeinkommen mit einer Konsumsteuer zu kombinieren. Er hat seine vier Kinder zusammen, zu sich gerufen und gesagt: Was mache ich? Kaufe ich eine Yacht oder gründe ich eine Partei mit dem Ziel, ein Grundeinkommen einzuführen? Seine Präferenz war für die Partei. Und die Kinder, sagt er, haben gesagt: Okay Vati. Und so hat er eine Partei gegründet, Vivant,[9] die dann zwei Prozent der Stimmen bekommen hat und ziemlich viel Geld gekostet hat. Jetzt hat er eine Koalition gebildet mit dem ersten Minister. Das spektakulärste Beispiel einer charismatischen Figur ist in Brasilien, wo Senator Suplicy, der wahrscheinlich einigen von Ihnen bekannt ist, Senator Suplicy, Mitgründer der PT (Partido dos Trabalhadores ) mit Lula, auch ein Ökonom, Ph.D. von Amerika, hat seit zehn Jahren eine Kampagne geführt für ein Grundeinkommen. Und zu meiner Überraschung in 2004, Januar 2004 bin ich nach Brasilia gegangen, als Präsident Lula ein Gesetz eingeführt hat, unterzeichnet hat mit dem Artikel eins, Grundeinkommen für alle Brasilianer. Aber in Artikel vier sagt es, dass man mit den Ärmsten anfängt, was natürlich vernünftig ist in Brasilien. Aber das gibt es auch, weil es eine charismatische Figur gibt, die sehr populär in Brasilien ist, eine charismatische Figur, die dann die Gelegenheit und die strukturellen Probleme genutzt hat, um einen innovativen Vorschlag zu machen. Aber es gibt natürlich mehr strukturelle Konjunkturen. Zum Beispiel jetzt in Japan ist das Interesse für das Grundeinkommen gekommen von Vorschlägen von der Kozumi-Regierung, die sehr neoliberale Alternativen sind für ein System, das jetzt nicht gut funktioniert. Und die Leute auf der Linken sind sich bewusst, dass man etwas machen kann, was nicht neoliberal sein soll, aber das auch nicht den Status Quo verteidigen soll. Und auch in Deutschland ist es deutlich, dass Harzt IV eine sehr wichtige Rolle gespielt hat, um solche Vorschläge auch politisch plausibel zu machen.
(Die Fortsetzung der Diskussion, die sich ab dieser Stelle den Fragen des Publikums öffnete, findet sich in den Video- und Audiomitschnitten, die zu Anfang erwähnt wurden.)

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Literaturhinweise
Beck, Ulrich (2000): “Die Seele der Demokratie: Bezahlte Bürgerarbeit.” in: Ulrich Beck (Hrsg.), Die Zukunft von Arbeit und Demokratie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 416-447
Beck, Ulrich (1999): “Modell Bürgerarbeit.” in: Ulrich Beck (Hrsg.), Schöne neue Arbeitswelt. Vision: Weltbürgergesellschaft. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 7-189
Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (1997): Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen. Teil III: Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungslage. Bonn: Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen
Oevermann, Ulrich (1983): Kann Arbeitsleistung weiterhin als basales Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit dienen? Frankfurt am Main: Goethe-Universität, URL: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2005/527/
Abgedruckt in: Manuel Franzmann (Hrsg.),
Bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft. Weilerswist: Velbrück-Wissenschaft
Schildt, Gerhard (2006): “Das Sinken des Arbeitsvolumens im Industriezeitalter.” Geschichte und Gesellschaft, Bd. 32, S. 119-148.
Schildt, Gerhard (2010): " Die Abnahme der Arbeitszeit – ein säkularer Trend." in: Manuel Franzmann (Hrsg.), Bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft. Weilerswist: Velbrück-Wissenschaft
Van Parijs, Philippe (1995): Real Freedom for All: what if anything can justify capitalism? Oxford: The Clarendon Press



[1] Schildt 2006, 20010.
[2] Oevermann 1983.
[3] Siehe Schildt 2010.                                                                                                            
[4] Siehe im Internet unter www.unternimm-die-zukunft.de
[5] Engels/Mitschke/Starkloff 1974; Mitschke 1985; 2001.
[6] Van Parijs 1995.
[7] Die Rede ist vom Soziologen Ulrich Beck.
[8] Beck 1999, 2000; Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997.
[9] Siehe im Internet www.vivant.org

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