Die Krankenversicherungsprämie im „Bürgergeld“-Konzept von Dieter Althaus

Vollständiger Titel: Die Krankenversicherungsprämie im „Bürgergeld“-Konzept von Dieter Althaus und die Frage der Kombination des bedingungslosen Grundeinkommens mit anderen Reformelementen
Der Thüringische CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus kombiniert in seinem Reformentwurf eines „Solidarischen Bürgergelds“[1] den Ansatz eines bedingungslosen Grundeinkommens mit einer einheitlichen Kranken- und Pflegeversicherungsprämie. Diese Kombination werde ich im folgenden analysieren[2], da aus ihr eine bemerkenswerte Problemlösung resultiert, die außerdem aufschlussreich ist im Hinblick auf die in der heutigen sozialpolitischen Reformdebatte verstärkt diskutierte Frage der Kombination des Grundeinkommensansatzes mit anderen Reformelementen.

In Althaus' Modell sind 200,- Euro des monatlich gezahlten Bürgergelds als Kranken- und Pflegeversicherungsprämie reserviert. D.h. von den 800,- Euro, die sein „großes Bürgergeld“ betragen soll und den 400,- Euro seines „kleinen Bürgergelds“ müsste der jeweilige Empfänger 200,- Euro als Einheitsprämie für eine gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung aufbringen, so dass er effektiv nur 600,- bzw. 200,- Euro Bürgergeld zur freien Verfügung übrig behielte. Dieser Abzug gälte genauso für das „Kinderbürgergeld“, das 500 Euro betragen soll.
Zunächst scheint klar, dass es sich mit dieser Kranken- und Pflegeversicherungsprämie um keinen neuen Ansatz handelt, sondern um ein Konzept aus der vom Grundeinkommen unabhängigen Diskussion zur Umgestaltung der Finanzierung des reformbedürftigen Gesundheitssystems der letzten Jahre. In dieser Kontroverse stand bislang auf der einen Seite das von der CDU favorisierte „Gesundheitsprämien“- oder „Kopfpauschalenmodell“, in dem jeder versicherungspflichtige Bürger, sofern er zahlungsfähig ist, den gleiche Betrag zu zahlen hätte und in dem die paritätische Finanzierung aus Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgegeben würde. Auf der Gegenseite stand und steht das von der SPD, den Grünen und der Partei „Die Linke“ bevorzugte Modell einer weiterhin einkommensabhängigen „Bürgerversicherung“, bei der die Versicherungspflichtgrenze aufgehoben, die Versicherung somit auf alle Bürger ausgedehnt und zugleich die Beitragsbemessungsgrundlage vom Arbeitseinkommen auf mehr oder weniger alle Einkommensarten ausgeweitet würde. Wenn Althaus nun das Prämienmodell mit der Grundeinkommensidee kombiniert, sieht dies auf den ersten Blick so aus, als gehöre er in diesem Streit dem gleichen Lager an wie diejenigen seiner CDU-Parteikollegen, die die gesetzliche Krankenversicherung vom Gedanken einer einkommensabhängigen, solidarischen Verteilung der Finanzierungslasten ablösen und stattdessen nach dem Prinzip gleicher Betrag für gleiche Versicherungsschutzleistung organisieren möchten. Bei näherer Betrachtung sieht die Sache jedoch ganz anders aus und entfaltet die Kranken- und Pflegeversicherungsprämie in seinem Ansatz eine interessante Dialektik, die auf den universalistischen Charakter des Grundeinkommens zurückzuführen ist.

Die dabei ausschlaggebenden Punkte sind:
  1. die unterschiedliche Herkunft des Geldes und
  2. die Ausweitung der Krankenversicherung auf alle Bürger. Beides verändert den Charakter seiner Einheitsprämie grundlegend.
Zu 1.) Beim Kopfpauschalenmodell der Union zahlte der versicherungspflichtige Bürger die Einheitsprämie in der Regel aus seinem persönlichen Einkommen und Vermögen, sofern er welches hat. Auch wer gut verdient oder über ein beachtliches Vermögen verfügt, hätte unverändert die gleiche Prämie zu zahlen. Starke Schultern trügen hier also keine höhere Last. Lediglich für diejenigen, die diese Einheitsprämie nicht aus eigenen Mitteln bezahlen könnten, wäre eine solidarische Finanzierung aus Steuermitteln vorgesehen. Für den Normalfall des versicherungspflichtigen Bürgers gälte das Prinzip, dass wer zur Selbstzahlung in der Lage ist, den gleichen Betrag zu zahlen hätte wie alle anderen in diesem System.[3]
In Althaus' Modell hätte der Bürger das Geld für die Prämienzahlung nicht aus seinem persönlichen Einkommen und Vermögen (insbesondere aus seinem Arbeitseinkommen) aufzubringen, sondern aus dem überwiesenen Bürgergeld, das er wie alle anderen ohne Gegenleistung und ohne zu erfüllende Bedingungen von der politischen Gemeinschaft, der er angehört, erhielte. Und dieses Bürgergeld finanzierte sich seinerseits aus Steuermitteln. Darüber vermittelt würde also am Ende derjenige, der gut verdient, über seine höhere Einkommensteuer (gegebenenfalls auch über einen erhöhten Konsum und einen dementsprechend höheren Mehrwertsteuerbetrag) eine größere Summe in den staatlichen Topf einzahlen, aus dem unter anderem das Grundeinkommen für alle und darüber vermittelt auch die Kranken- und Pflegeversicherungsprämie von 200,- Euro erfolgte. Besserverdienende würden somit zu einem größeren Teil die Finanzierungssumme des Krankenversicherungssystems aufzubringen haben als Geringverdiener, in deutlichem Unterschied zum bislang von der Union favorisierten Kopfpauschalenmodell, bei dem nur im Hinblick auf das unterschiedliche Krankheitsrisiko (vgl. dazu die Anmerkung in Fußnote 3) und im Hinblick auf den Ausnahmefall der Einkommensarmut eine solidarische Finanzierung zum Tragen käme.

Zu 2.) Das Kopfpauschalenmodell der Union gälte in Kontinuität zur heutigen gesetzlichen Krankenversicherung nur für diejenigen, die der gesetzlichen Versicherungspflicht unterliegen. Dagegen wäre Althaus’ Krankenversicherungsprämie universell von jedem Bürger zu bezahlen, und für jeden Bürger gälte entsprechend auch der so finanzierte universelle Versicherungsschutz. Das Problem von Selbständigen ohne Krankenversicherung gäbe es nicht mehr.

Der zweite Punkt rückt Althaus’ Krankenversicherungsmodell in den Bereich einer Bürgerversicherung, für die die Universalisierung des Versicherungsschutzes und der Finanzierungsbeteiligung wesentliche Kennzeichnen sind. Der Wirtschaftswissenschaftler und Bundestagsabgeordnete der Grünen Wolfgang Strengmann-Kuhn gelangt daher zur Feststellung „So sind Kopfpauschale und Bürgerversicherung eigentlich gar keine sich ausschließenden Alternativen und ein Modell mit einer Kopfpauschale für die gesamte Bevölkerung (‚Bürgerprämie’) wäre ebenfalls eine Bürgerversicherung.“ (Strengmann-Kuhn 2005, S. 12)
In Althaus Konzept geht die Verschmelzung der heute als Antipoden scheinbar unversöhnlich gegenüber stehenden Ansätze noch weiter, als es schon bei der von Strengmann-Kuhn erwähnten „Bürgerprämie“ der Fall wäre. Denn in Althaus Ansatz kommt vermittelt über die Finanzierung der Einheitsprämie aus dem Bürgergeld, das ja seinerseits steuerfinanziert wäre, noch eine im Grundsatz solidarisch ansetzende Finanzierung hinzu. Aber das ist noch nicht alles. Gleichzeitig wird der aus meiner Sicht durchaus berechtigte und anerkennenswerte Gedanke des heutigen Kopfpauschalenmodells der Union aufgenommen und im Modell zum Ausdruck gebracht, wonach man von einem auf eigenen Füßen stehenden, erwachsenen Bürger im Prinzip erwarten kann, dass er für den Krankheits- und Pflegefall eigenverantwortlich vorsorgt, sofern er dazu in der Lage ist. Das Bürgergeld würde – und darin ist es, ob beabsichtigt oder nicht, eine ingeniöse Konstruktion – gewährleisten, dass jeder dazu in der Lage wäre.

Zur klassischen „Bürgerversicherung“, wie sie bislang diskutiert wurde, bleibt jedoch eine grundlegende Differenz bestehen. Mit der Krankenversicherungsprämie fiele auch in Althaus Modell eine paritätische Finanzierung aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen fort. Kritiker sehen darin eine Begünstigung von Unternehmen, die aus der Beteiligung an der Finanzierung der Sozialversicherung entlassen würden, obwohl sie von der Existenz der Sozialversicherung zweifellos auch profitieren. Diese Kritik wäre tatsächlich berechtigt, wenn außer dem Wegfall der paritätischen Finanzierung nichts weiter geschähe und Unternehmen nicht in gleichem Umfang an anderer Stelle an der Finanzierung beteiligt würden. Kompensierte man diesen Wegfall aber z.B. durch äquivalente Unternehmenssteuern, erledigte sich auch diese Kritik. Wie daraus hervorgeht, muss man den von Althaus gewählten allgemeinen Finanzierungsansatz von dessen konkreter Ausgestaltung analytisch klar unterscheiden. Der allgemeine Ansatz, in dem die bisherigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge wegfielen und stattdessen eine Steuerfinanzierung erfolgte, bedeutet nicht per se eine Begünstigung von Unternehmen zulasten des Gemeinwohls. Nur die erwähnte Art der Ausgestaltung hätte diese Folge. Eine Steuerfinanzierung ist sehr unterschiedlich auszugestalten, und alles hängt davon ab, wie gerecht und funktional die Gesamtheit der Steuern verteilt ist.
Der Vorteil einer Steuerfinanzierung gegenüber der bisherigen Beitragsfinanzierung ist insbesondere die Entkopplung von Erwerbsarbeit, die als tragende Säule der Finanzierung des Sozialversicherungssystems mehr und mehr erodiert. Diese Koppelung macht die Beitragsfinanzierung zu einem zu partikularistischen Ansatz, hinter dem letztlich die traditionelle Leistungsethik steht, die als Legitimationsglauben (Max Weber) das gesamte Industriezeitalter geprägt hat und immer noch prägt. In dieser Ethik gilt Erwerbsarbeit als allgemeines, normatives Modell des Leistens, dem gemäß man zunächst durch Erwerbsarbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen hat, bevor man die Freiheit genießt, auch in anderer Form etwas beizutragen. Diese Priorität der Erwerbsarbeit war solange kein manifestes Problem, solange sich die Wertschöpfung extensiv auf lebendige menschliche Arbeitskraft stützte und daher im Produktionsprozess ein beinahe grenzenloser Bedarf an Arbeitskräften bestand. Dieser Produktionsfaktor verliert jedoch quantitativ (nicht qualitativ) schon seit geraumer Zeit zugunsten von Wissen und Kapital an Bedeutung. Die Folgen sind ein in Deutschland seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (seit gut 125 Jahren!) zu beobachtendes, stetiges Sinken des Arbeitsvolumens pro Kopf (Schildt 2006; Miegel Wahl 2002), seit Mitte der 1970er Jahre eine stufenweise ansteigende strukturelle Massenarbeitslosigkeit, die gewissermaßen an die Stelle der bis dahin praktizierten, nun aber ein Ende findenden pauschalen Arbeitszeitverkürzung tritt, schließlich auch ein deutliches Zurückfallen der Lohnentwicklung hinter das Wirtschaftswachstum, manchmal sogar eine Reallohnstagnation oder ein Reallohnverlust, vor allem bei im Prinzip rationalisierbaren Arbeitstätigkeiten, die angesichts des technologischen Fortschritts ökonomisch nicht mehr viel Wert sind. Trotzdem hält der öffentliche Diskurs und die Politik an Erwerbsarbeit als Normalmodell eisern fest und behandelt diese mittlerweile als Selbstzweck, quasi als ein tabubesetztes religiöses Heiligtum, so als ob die prioritätenmäßige Beschränkung der Leistungserbringung auf die Form der Erwerbsarbeit nicht ihrerseits legitimationsbedürftig wäre: Die Schröder-SPD titelte im Bundestagswahlkampf 1998 „Es gibt viele schöne Plätze in Deutschland. Die schönsten sind für uns Arbeitsplätze“, worin Arbeit – die in der Regel Mühsal und Selbstüberwindung im Dienste einer sinnvollen Aufgabe bedeutet, aus der heraus die Anstrengung ihre Begründung erfährt – unter der Hand zu einem knappen, hedonistischen Gut pervertiert wurde, das es seinerseits gerecht zu verteilen gälte, was schon früher die Gewerkschaften propagierten. Im Bundestagswahlkampf 2002 zogen die anderen Parteien nach: Die CDU/CSU formulierte definitorisch und die bitteren Pillen und dominante Markt- und Unternehmensorientierung ihrer entworfenen Reformpolitik vorausschickend legitimierend „Sozial ist, was Arbeit schafft“, bezeichnenderweise ohne zu bemerken, dass sich dieser Spruch nur marginal von dem Wahlkampfslogan aus dem Jahre 1933 „Sozial ist, wer Arbeit schafft“ der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ Alfred Hugenbergs unterscheidet, die Hitlers Machtergreifung und Totalitarismus unterstützte.[4] Die Grünen plakatierten, sich in eine kollektivistische Denktradition stellend, „Brüder, durch Sonne zur Arbeit“ und die PDS „Arbeit soll das Land regieren“ – bezeichnenderweise nicht den Menschen in den Mittelpunkt stellend. Die FDP nannte 2005 konsequenterweise gleich ihr ganzes Wahlprogramm „Arbeit hat Vorfahrt“. Der sich in dieser säkularen „Arbeitsreligion“ dokumentierende Mangel an Säkularisierung, bei dem den einzelnen Bürgern von ihrem Gemeinwesen entgegen der ökonomischen Notwendigkeit ein spezifischer Inhalt als allgemeingültiger für ihre Lebensführung autoritativ vorgeschrieben wird, schränkt die Entfaltungsmöglichkeiten und Spielräume, etwas Sinnvolles zum Gemeinwesen beizutragen, erheblich ein (vgl. Oevermann 2001).

Dagegen ist die Steuerfinanzierung – wie das von Erwerbsarbeit als Normalmodell befreiende bedingungslose Grundeinkommen – vom Ansatz her universalistisch. Das zeigt sich nicht zuletzt im folgenden. Gegenwärtig verhält es sich so, dass die paritätisch gezahlten Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung aufgrund ihrer Bindung an Erwerbsarbeit in ihrem Gesamtvolumen mit der Zahl der Arbeitsplätze sinken. Wenn ein Unternehmen Arbeitsplätze rationalisiert, dann entledigt es sich nicht nur von Arbeitskräften, die dann kein Erwerbseinkommen mehr haben und der Arbeitslosenversicherung zur Last fallen, sondern auch noch im gleichen Umfang von der finanziellen Last der Mitfinanzierung des Sozialversicherungssystems, und dies, obwohl es dabei in der Regel ökonomisch stärker wird und somit eher mehr als weniger zum Gemeinwohl beisteuern könnte. So folgt auf die Ankündigung von Rationalisierungsmaßnahmen durch ein Unternehmen typischerweise ein Anstieg seines Aktienkurses bzw. seines Marktwertes.
Eine Unternehmensbesteuerung (ebenso eine Konsumbesteuerung) wäre von der Zahl der Arbeitsplätze unabhängig. Sie würde Unternehmen universell zur Finanzierung von Gemeinwohlaufgaben heranziehen, sofern Gewinne erzielt worden sind. Dabei gilt natürlich, dass Rationalisierungsprozesse für sich genommen selbstverständlich im Grundsatz etwas Positives sind und einen Fortschritt bedeuten. Wer auf die Möglichkeit der Einsparung unnötiger Arbeit verzichtet, um Arbeitsplätze zu erhalten, bezahlt daher unweigerlich einen Preis. Er verschleudert nicht nur die kostbare Lebenszeit der arbeitenden Menschen. Er verwandelt auch deren Arbeit tendenziell in eine sinnentleerte, pervertierte Beschäftigung um ihrer selbst willen. Das bleibt normalerweise auch denjenigen nicht verborgen, die eine Arbeit ausüben, welche eigentlich rationalisiert werden könnte, aber nicht eingespart wurde wegen des Beschäftigungseffekts. Wer solch eine „subventionierte“ Arbeit leisten muss, kann nicht mehr in dem Selbstbewusstsein leben, durch seine Arbeit dem Gemeinwesen etwas zu geben. Er muss vielmehr paradoxerweise auch noch der Allgemeinheit dankbar dafür sein, dass man ihn arbeiten lässt und er sich zumindest dem äußeren Schein nach sein Einkommen verdient. Das machen sich diejenigen, die Erwerbsarbeit allem anderen überordnen, wohl meist nicht klar. Indem sie an Erwerbsarbeit als Normalmodell festhalten, tragen sie dazu bei, das zu zerstören, in dessen Namen sie in der Regel an diesem Modell festhalten: die sinnstiftende Bedeutung von Arbeit, die Stolz, Selbstbewusstsein, Anerkennung, „Teilhabe“ usw. verschafft.

Eine letzte Besonderheit von Althaus’ Konzept bleibt noch zu erwähnen. Sein Ansatz unterscheidet sich wesentlich von einer quasi-sozialistischen Staatskrankenversicherung, die allen Bürgern den Versicherungsschutz beitragsfrei stellte. In finanzieller Hinsicht wäre der Unterschied gar nicht einmal so groß, denn nach Althaus würde ja jeder Bürger mit seinem Bürgergeld den Betrag für die Krankenversicherungsprämie zuvor bedingungslos über den Staat erhalten und wäre gesetzlich verpflichtet, ihn für eine Krankenversicherung mit gesetzlich garantierten Mindestleistungen auszugeben. Warum, so könnte man sich daher fragen, nicht direkt allen Bürgern einen staatlichen Versicherungsschutz gewähren? Der Unterschied besteht nicht nur in der Beibehaltung des berechtigten und anerkennenswerten Gedankens der Kopfpauschale, wonach man von einem erwachsenen Bürger im Prinzip erwarten kann, dass er für den Krankheitsfall selbst vorsorgt, wenn er dazu in der Lage ist. Er besteht auch noch im Folgenden: Indem die Bürger das Geld für ihren Krankenversicherungsschutz ausgezahlt bekommen und eigenverantwortlich für einen gesetzlich garantierten Mindestversicherungsschutz ausgeben müssen, eröffnet sich auch noch eine Möglichkeit zum Wettbewerb zwischen Krankenkassen bzw. Versicherungsunternehmen. Es bestünde somit die Chance, dass aufgrund des Wettbewerbs Wahlmöglichkeiten und Kostenvorteile entstehen, die es ansonsten bei einer Staatskrankenversicherung nicht gäbe.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus Althaus’ Verbindung des bedingungslosen Grundeinkommens mit einer Krankenversicherungsprämie im Hinblick auf die allgemeine Frage nach der Kombination des Grundeinkommens mit anderen Reformelementen ziehen?

Wie aus den obigen Ausführungen deutlich geworden sein sollte, führt die Kombination des bedingungslosen Grundeinkommens mit einer Kopfpauschale, wie sie von Althaus vorgenommen wird, zur Universalisierung der Kopfpauschale und dadurch zur Synthese mit den universalistischen Aspekten des Bürgerversicherungskonzepts von SPD, Grünen und der Partei „Die Linke“. Diese Universalisierung ist maßgeblich dem universalistischen Charakter des bedingungslosen Grundeinkommens geschuldet, der sich in der Kombination mit dem Kopfpauschalenmodell quasi auf letzteres überträgt. Im Hinblick auf die allgemeine Diskussion zur Frage der Kombination des Grundeinkommens mit anderen Reformelementen lässt sich aus diesem gelungenen Beispiel einer Kombination abschließend meines Erachtens folgende Lehre ziehen: Ob ein anderes Reformelement zum Grundeinkommen passt oder nicht hängt insbesondere vor der Frage ab, ob das universalistische, autonomieförderliche Potential des bedingungslosen Grundeinkommens durch die Kombination „gehoben“ wird oder vielmehr umgekehrt eine Beschränkung erfährt. Diese Frage könnte aus meiner Sicht als roter Faden einer neuen Reformpolitik dienen, in der das steuerfinanzierte, in zum Leben ausreichender Höhe gezahlte bedingungslose Grundeinkommen das Kernelement bildet.

[Dieser Text steht unter folgender Internetadresse als pdf-Datei mit zitierfähiger Internetadresse zur Verfügung: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-56340
Eine überarbeitete Version wurde im folgenden Sammelband abgedruckt, der auch als pdf-Datei unter der Internetadresse http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2010/7436/ kostenfrei zur Verfügung steht.
Franzmann, Manuel (Hg.): Bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist, 2010, S. 360-368]

Literatur:
  • Miegel, Meinhard Stefanie Wahl (2002): Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit. Probleme und Perspektiven. München: Olzog.
  • Oevermann, Ulrich (2001): Die Krise der Arbeitsgesellschaft und das Bewährungsproblem des modernen Subjekts. In: Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung. Kulturspezifische Ausformungen in den USA und Deutschland. hg. v. Roland Becker, Andreas Franzmann, Axel Jansen Sascha Liebermann. (Analyse und Forschung, Band 25). Konstanz: UVK.
  • Schildt, Gerhard (2006): Das Sinken des Arbeitsvolumens im Industriezeitalter. Geschichte und Gesellschaft 32: S. 119-148.
  • Strengmann-Kuhn, Wolfgang (2005): Das Prinzip Bürgerversicherung: die Zukunft im Sozialstaat. Wiesbaden: VS-Verlag.
[2] Andere Gesichtspunkte von Althaus’ Grundeinkommenskonzept bleiben in dieser ohne Zweifel sehr selektiven Betrachtungsweise außer Acht. Es geht mir in diesem Text auch nicht um die politische Bewertung seines Gesamtkonzepts sondern bloß um die Analyse eines in modellsystematischer Hinsicht interessanten Aspekts. Ich werde hier daher auch nicht weiter auf die viel kritisierte geringe Höhe des Bürgergelds, die auch in meinen Augen zu niedrig angesetzt ist, eingehen, genauso wenig wie auf die eigentümliche, fragwürdige Unterscheidung eines „kleinen“ und „großen Bürgergelds“, mit der zwei unterschiedliche, scheinbar dadurch legitimierte Einheitssteuersätze verbunden sind und die Bedingungslosigkeit des Bürgergelds nicht prägnant zur Darstellung kommt, und anderes mehr.
[3] Darin unterscheidet sich ein solcher Ansatz auch vom privaten Versicherungsmarkt, bei dem die zu zahlenden Versicherungsprämien nicht einheitlich sondern in der Regel risikoabhängig sind. Die Idee einer Einheitsprämie impliziert daher zumindest insofern auch einen Solidargedanken, als Personen mit niedrigem Krankheitsrisiko durch die Einheitsprämie mehr zu zahlen hätten, als sie auf dem Versicherungsmarkt für einen Versicherungsschutz individuell zahlen müssten, im Gegensatz zu Personen mit hohem Krankheitsrisiko, die relativ gesehen weniger zu zahlen hätten. Wie daraus hervorgeht, lässt sich das Kopfpauschalenmodell der Union nicht unumwunden einem „neoliberalen“ Marktdenken subsumieren, was einer der Gründe sein könnte, warum die FDP dieses Modell bislang ablehnt.
[4] Bezeichnend ist dies, weil die forcierte, quasi-religiöse Ausrichtung der gesamten Politik am Vollbeschäftigungsziel als oberster Priorität zumindest eine totalitäre Tendenz hat.

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